zurück 4.3.1857, Mittwoch ID: 185703045

Brief Georg Armingers an das Bischöfliche Konsistorium: Äußert sich auf die Weisung vom 22.1.1857 und unterstützt Bruckners Vorschläge [vom 14.1.1857] zum Orgelumbau in vollem Umfang und »von ganzem Herzen«:

»Hochwürdigstes Bischöfl. Consistorium!
   Der gehorsamst Unterzeichnete erlaubt sich zu Folge der ihm unterm 22. Jänner 1857 Z. 343 zugekommenen Weisung, in Betreff einer vom Domorganisten Bruckner gestellten hier zurückfolgenden Bitte wegen Reparatur der Domorgel sich zu äußern, Folgendes anzuführen.
   1. Daß die Orgel in der Domkirche einer durchgängigen Stimmung aller Regiester bedürfe, wird jeder, der mit einem musikalischen Gehöre begabt die einzelnen Töne der verschiedenen Pfeifen vernimmt, als notwendig erachten. Manche, mitunter gerade die schönsten Regiesterstimmen sprechen fast gar nicht mehr an, so daß die Pfeifen ganz umsonst im Orgelkasten stehen, oder es spricht ein und der andere Ton an, der nächste wieder nicht; wieder andere sind falsch intonirt, so daß ein so bedeutendes Werk, zum Theile von einem der berühmtesten Orgelbauer verfertigt, wenigstens der Hälfte nach unbrauchbar dasteht. Dieß darf aber auch nicht wundern, wenn in Erwägung gezogen wird, daß seit 20 u. mehr Jahren keine bedeutendere Reparatur oder Nachhilfe mehr geleistet wurde und die Orgel besonders in der letzten Zeit der Restauration der Kirche der Feuchtigkeit u. Nässe, dem Staube, der Zugluft u. anderen ihr feindseligen Elementen mehr als gewöhnlich ausgesetzt war.
   2. Eben so notwendig erscheint eine Revision des Mechanismus wenigstens in so weit, daß dem so widerlichen Fortklingen u. Brummen der Töne, wie es sich so häufig ergibt, ein Ende gemacht werde, was entweder durch geeignete Sperrventile oder durch sichere Befreiung der steckenden Manual- oder Pedal-Tasten aus ihrer Klemme bewerkstelliget wird. Was endlich 
   3. die vom Organisten Bruckner beantragte Vergrößerung der Orgel durch 2 oder 3 neue Regiester von 8 u. 16 Fuß zum Behufe der Choralbegleitung anbelangt, so erscheint auch dieses gerechtfertigt, wenn man bedenkt, daß bei der Domorgel den Mixturen oder scharfen schreienden Stimmen zu viel Rechnung getragen, an soliden, vollen u. breiten Stimmen aber, wie sie die Begleitung des Chorals oder eines Kirchenliedes erfordert, Mangel ist. Die Orgel soll nehmlich nicht bloß beim Beginne und Schlusse des Gottesdienstes feierlich erklingen, sondern sie soll auch vornehmlich dem Gesange zum Anhaltspunkt dienen u. seine feste Haltung, seine melodische Durchführung, seinen ruhigen Fortschrit sichern, ihm Fülle u. Ebenmässigkeit geben, welcher Zweck aber bisher aus Mangel an breiten, vollen Stimmen nicht erreicht wurde. Denn bei der Begleitung des Choralgesanges greift die Orgel nicht durch, wie sich jeder der im Chore singt überzeugen kann u. man hört nur die Baßtöne, die übrige Harmonisirung entweder höchst unvollständig oder gar nicht - was gewiß, wenn schon einmahl die Orgel beim Choralgesange angewendet wird - ein großer Uibelstand ist. Auch mag der Mangel an solchen Stimmen - freilich nebst andern - Ursache sein, daß die gewöhnlichen Kirchenlieder bei der Feier der hl. Messe vom Volke sehr schlecht gesungen werden u. ein ungewöhnlich starkes Detoniren oder Sinken in den begonnenen Tonverhältnissen eintrit. Auch dürfte die Beifügung von 2 oder 3 acht und sechzehnfüßigen Regiestern der Orgel wenn sie in pleno gespielt wird, noch mehr Gravität und Würde verleihen. 
   Der Gehorsamst Gefertigte wünscht von ganzem Herzen, daß die besagte Reparatur der Domorgel veranlaßt u. rechtschaffenen, aber auch kundigen Händen anvertraut werden möge, damit sie in würdiger Behandlung wie überhaupt die kirchliche Musik 'zu jenen durch den Text ausgesprochenen Gesinnungen und Gefühlen vorbereite u. das Gemüth in diejenige Stimmung versetze, die es vorzüglich zu einen fruchtbaren Boden für die Religionslehren macht, u. daß sie es darin unterhalte.' Aug. Confess. Lib X. c. 33. 
Linz am 4. März 1857
Georg Arminger 
Dom- u. Chorvikar, Lehrer des Choralgesanges 
im bischöfl. Knabenseminar«


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 185703045, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-185703045
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11