zurück 24.7.1858, Samstag ID: 185807245

Lobender Artikel Ludwig Speidels in der Wiener Zeitung, Abendblatt, Nr. 167 (*), S. 1ff, auf S. 2 (= S. 884) über Bruckners Orgelspiel am 12.7.; er stellt eine Beeinflussung durch Mendelssohn fest:
»Feuilleton.
Musikalisches.
(Sommer-Liedertafel. - Anton Bruckner. - Wenzel Tomaschek noch einmal.)
   L. Sp. In den Garten-Lokalitäten beim Sperl hat der Wiener Männer-Gesangverein jüngst eine Fest-Liedertafel abgehalten. [... ausführlich über zwei neue Vokalquartette ...] Das erste Quartett wurde gut gesungen und von den Umstehenden mit Beifall aufgenommen; das andere ist durch mangelhafte Ausführung zum größten Theil in's Gras gefallen.
   In dieser Zeit musikalischer Trockniß wird man es begreiflich finden, wenn man zuweilen künstlerische Privatgenüsse aufsucht, die man dann, falls sie von einiger Bedeutung, nicht ungerne dürfte öffentlich besprochen sehen. So ward uns jüngst ein ungewöhnlicher Genuß, als wir den Dom-Organisten von Linz, Herrn Anton Bruckner, der sich zum Zwecke seiner Ausbildung einige Zeit in Wien aufgehalten, in der Josephstädter Piaristenkirche Orgel spielen hörten. Herr Bruckner besitzt über einen vollständig absolvirten Lehrkurs in der Harmonielehre, sowie über seine Fertigkeit und Kunst im Präludiren die glänzendsten Zeugnisse von Seite des Professors Sechter. Als er sich aber an das schöne Werk in der Piaristenkirche setzte und zu phantasiren begann, da merkten wir sogleich, daß er seine theoretische Schule weitaus überflügelt habe. Er schlug ein Thema an und führte es nicht ohne respektabeln Aufwand an Phantasie und musikalischem Können nach allen Seiten durch; wie im freien, so zeigte er seine Tüchtigkeit auch im strengen Satz. Bei seiner großen Fertigkeit, seinem begeisterten Streben und bei dem so fühlbaren Mangel an gediegenen Orgelspielern dürfte ihm eine schöne Zukunft nicht fehlen. Daß ein jung und frei aufstrebendes Talent wie Herr Bruckner durchaus die Spuren der Mendelsohn'schen [sic] Richtung an sich trägt, wird ihm schwerlich zum Vorwurf gereichen. Ist doch Mendelssohn der Orgel als ein Befreier erschienen, der sie vom Joch der Pedanterie erlöste und sie wieder menschlich fühlen lehrte.
[... über Tomaschek ...]«.


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 185807245, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-185807245
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11