zurück 16.11.1867, Samstag ID: 186711165

Bruckners Universitätsgesuch wird von Hanslick abschlägig beschieden. Man habe Juli 1862 den Antrag Rudolf Weinwurms ebenfalls abgelehnt:
»Referat.
     In einem, unmittelbar an den Herrn Dekan gerichteten Gesuche vom 2. November l. J. bittet der Domorganist Anton Bruckner in Linz um «Aufnahme als Lehrer der musikalischen Composition an der Wiener Universität.» Diesem nicht weiter ausgeführten oder genauer präzisirten Gesuche liegen Zeugnisse des verstorbenen Hoforganisten Simon Sechter u. ein Zeugniß vom Wiener Conservatorium bei, welche Bruckners Ken[n]tnisse im Fach der Harmonielehre, des Contrapunkts u. der Composition bestätigen.
     Dem Ansuchen Bruckners, an der Wiener Universität zum Lehrer der Compositionslehre ernannt zu werden steht zunächst ein einhelliger Beschluß des philos. Professorencollegiums entgegen, welches vor Kurzem sich über ein ganz gleiches Ansuchen aus prinzipiellen Gründen abschlägig aussprach.
     Im Juli 1862 ist nämlich der akademische Chormeister u. Gesangslehrer, Herr Weinwurm hier um die Ernen[n]ung zum Lehrer der musikal. Composition eingeschritten. Das philos. Prof. Collegium hat sich damals einhellig zu der Ansicht bekannt, daß die praktische Unterweisung im Componiren nicht füglich an die Universität sondern an eine Fachschule, an ein Conservatorium gehöre. Man müßte dann ebenso gut Lehrer des Zeichnen und Malens, des Kupferstechens u. Modellirens an der Universität anstellen. Es wurde damals hervorgehoben, daß nach der Natur des Gegenstandes u. erfahrungsgemäß der Compositionsunterricht sich nicht zu collegialer Behandlung eigne, daß er nur durch unmittelbares Zusam[m]enarbeiten des Lehrers mit dem einzlen Schüler fruchtbar werden kön[n]e u. deshalb auch Jeder der musikalischen Composition sich ernstlich Widmende seine Zuflucht stets zu einem Conservatorium oder noch besser zu dem Privatunterricht eines renom[m]irten Componisten nehme. Uiber den motivirten Antrag des philos. Dekanats hat das Staatsministerium mit Erlaß v. 21. September 1862 Z. 8028 entschieden, daß Compositionslehre u. Contrapunkt nicht als eigene Lehrgegenstände in den Lectionskatalog aufzunehmen sind, indem sie mit Erfolg nur an einer Spezialschule vorgetragen werden kön[n]en. "Es versteht sich übrigens von selbst" – fährt der MinisterialErlaß fort – "daß es dem bestellten Gesangslehrer unbenom[m]en ist, dasjenige aus der Harmonie= u. Compositionslehre zu berücksichtigen, was theils zu einer gründlichen Behandlung des Gegenstands beiträgt, theils den individuellen Bedürfnissen u. besonderen Talenten der Theilnehmer am Unterricht zusagend erscheint."
     Nachdem dies sowohl von Herrn Weinwurm nach der praktischen Seite geschieht, wie von dem a. o. Professor der Geschichte u. Aesthetik der Musik nach der theoretischen, so ist ein Bedürfniß nach einer eigenen Vertretung der Compositionslehre keineswegs vorhanden u. dürfte dieselbe auch kaum Aussicht auf einen namhaften Zuspruch von Studierenden haben.
     Mit Rücksicht auf jene prinzipielle Abweisung des H. Weinwurm, der für seine Person als akademischer Gesanglehrer u. Chormeister gewiß einen näheren Anspruch gehabt hätte, als ein der Universität gänzlich fernstehender Dritter, ist die Erledigung des Bruckner'schen Gesuchs im gleichen Sinne von selbst gegeben. Die gefertigten Com[m]issionsglieder stellen demnach den Antrag: das Gesuch des H. Anton Bruckner in Linz um Ernen[n]ung zum Lehrer der musikal. Composition mit Rücksicht auf das Min.Dekret v. 21. September 1862 Z. 8028 abweislich zu bescheiden.
Wien 16. November 1867.
Dr Ed. Hanslickmp.«


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186711165, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186711165
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11