Die Bozner Zeitung Nr. 241 berichtet auf S. 8 unter Übernahme des Textes der Tagespost vom 12.10.1871 von der St. Anna-Affaire:
"(Das Opfer einer Denunciation.) Wir lesen in der "Linzer Tagespost.": Eine eigenthümliche schulräthliche Maßregelung, welche die Aera Jirecek um ein Räthselhaftes vermehrt, macht jetzt in musikalischen Kreisen viel von sich sprechen. Die Sache ist folgende: Vor Kurzem kehrte der am Wiener Pädagogium als Professor des Orgelspieles angestellte k. k. Hoforganist Herr Bruckner aus London, wo er sich einige Zeit zu Kunstzwecken aufhielt, zurück und war sich keines Argen bewußt, als er sich eines Tages mittelst Citation vor den Schulrath des Pädagogiums beschieden sah. Hier wurde er vom Schulrathe Becker mit vorwurfsvoller und barscher Rede empfangen und ihm eröffnet, daß er seiner Stelle enthoben sei. Nach dem Grunde dieser plötzlichen Entlassung fragend, erhielt Herr Bruckner nach längerem Drängen die Aufklärung, daß eine anonyme Anzeige ihn beschuldigt habe, daß er seinen Schülerinnen den Hof mache, einzelne von ihnen vor den anderen begünstige etc. Professor Bruckner wagte es in seiner bekannten Bescheidenheit und Schüchternheit nicht, auf diese Insinuation die gebührende Antwort zu geben, und nahm die Entlassung an, obschon es sich hiebei buchstäblich um seine Existenz handelte. Ausgezeichnet mit den höchsten Preisen auf mehreren Weltausstellungen für seine Verdienste um die Orgelmusik, folgte er der Berufung an das Wiener Pädagogium, bezog hier für seine Professur einen Jahresgehalt von 1200 fl. und als vierter k. k. Hoforganist einen Zuschuß von 200 fl. Dieser Subsidien sieht er sich nun beraubt. In der Angst um seine Zukunft wandte er sich an den König von Baiern, um für sich eine passende Stellung an einem Münchener Institute zu erbitten und erwartet jetzt von der königlichen Antwort sein Heil oder Wehe. Jene anonyme Denunciation aber, welche den deutschen Professor Bruckner in die Lage setzte, einem czechischen Nachfolger Platz zu machen, entspricht nur insoferne der Wahrheit, als der Herr Professor einmal eine Schülerin mit „liebes Kind” angesprochen und hinzugesetzt, daß er mit ihren Leistungen sehr zufrieden sei." (*).
Die Morgenpost Nr. 290 veröffentlicht auf S. 4 eine Zuschrift Bruckners zur St. Anna-Affaire:
"Briefe aus dem Publikum.
Löbliche Redaktion!
Aus Anlaß der in Ihrem geschätzten Blatte in Betreff meiner angeblichen Enthebung vom Unterrichte an der Lehrerbildungsanstalt zu St. Anna gebrachten Notiz finde ich mich verpflichtet zur Aufklärung des Sachverhaltes zu veröffentlichen: Daß es allerdings richtig sei, daß gegen mich verläumderische, böswillige anonyme Denunziationen bei der Direktion der vorbenannten Anstalt vorgebracht wurden. - Inwieferne diese eine Berechtigung haben, mag man aus dem Inhalte des nachstehend angeführten Zeugnisses entnehmen:
"Zeugniß. Die gefertigte Direktion bestätigt mit Vergnügen, daß der Herr k. k. Hoforganist Professor Anton Bruckner an der Staatsanstalt für Bildung von Lehrerinnen in Wien im Schuljahre 1870/71 den Unterricht im Klavierspiel mit ausgezeichnetem Erfolge leitete, ein vorzügliches Lehrgeschick bewährte, durch streng moralische Haltung, durch hingebenden Eifer an die Sache und durch jene Eigenschaften, die den Künstler wie den Lehrer ehren, sich jederzeit auszeichnete. Wien, am 17. Oktober 1871. Robert Niedergesäß, k. k. Direktor an der k. k. Staatsanstalt für Bildung von Lehrerinnen in Wien."
Ich setze voraus, daß jene geehrten Redaktionen, welche die Notiz wegen meiner angeblichen Enthebung brachten, auch diese berichtigende Notiz aufnehmen werden.
Anton Bruckner,
k. k. Hoforganist und Professor am Konservatorium in Wien." (**).
Nahezu gleichlautend schreibt die Neue Freie Presse Nr. 2570 auf S. 5f:
"Herr Redacteur! Aus Anlaß der in Ihrem geschätzten Blatte [... Text wie bei (**) mit minimalen Abweichungen und orthographischen Varianten: ... Lehrerinnen=Bildungsanstalt ... verleumderische ... nachstehend wortgetreu angeführten ...] Ich setze voraus, daß jene geehrten Redactionen, welche die Notiz wegen meiner angeblichen Enthebung brachten, auch diese berichtigende Notiz aufnehmen werden.
Anton Bruckner,
k. k. Hof=Organist und Professor am Conservatorium in Wien." (***).
Das Grazer Volksblatt Nr. 241 meldet auf S. 2:
" * (Habert's Zeitschrift für katholische Kirchenmusik) bringt in Nr. 9 auf der ersten Seite die Nachricht, daß Herr Anton Bruckner, k. k. Hoforganist in Wien, am 6. und 8. Aug. den Sieg über alle konkurrenten im Orgelspiel in London davongetragen habe. Der königl. Preis wurde ihm einstimmig zuerkannt. Er ist geboren in Oberösterreich als Sohn eines Schullehrers." (°).
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187110205, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187110205letzte Änderung: Nov 22, 2024, 13:13