zurück 30.8.1885, Sonntag ID: 188508305

Artikel, signiert »C. A.« (= Carl Almeroth), im Alpen-Boten (Steyr) Nr. 69 auf S. 3:
»Bruckner's Orgel=Concert in St. Florian.
Steyr, 29. August.
    Meister Bruckner verschaffte gestern seinen Freunden und Verehrern einen großartigen Kunstgenuß. Nach 1 1/2 monatlichem Aufenthalte in unserer Stadt - welchen Meister Bruckner größtentheils seiner Muse widmete, er componirte nämlich das Scherzo, Trio und Finale seiner VIII. Symphonie, welche eines seiner bedeutendsten Tonwerke zu werden verspricht - fuhr derselbe vorgestern nach St. Florian, um dortselbst den Rest seiner Ferein zu verbringen, und gab beim Scheiden einem seiner Freunde das Versprechen, Freitag Nachmittags die große Orgel in der Stiftskirche zu spielen. - Bekanntlich ist die "Florianer" die größte Orgel des Continentes, ein mächtiges Chrismannisches Werk (1874 von M. Mauracher umgebaut) mit 4 Manualen und 84 Registern. Man denke sich nun als Bezwinger dieses Monstre=Instrumentes unseren, als Componisten wohl erst leider seit kurzem gefeierten und verstandenen, als ersten Organisten aber schon längst anerkannten, berühmten Symphoniker Bruckner und es war vorauszusehen, daß die Kunde des Orgelconcertes Schaaren von kunstbegeisterten Pilgern zur Wahlfahrt [sic] nach St. Florian veranlaßte.
    St. Florian wurde an diesem Tage zu Klein=Bayreuth, und auf allen möglichen Vehikeln, zu Wagen, auf dem Reitrad, per Bahn und auf Schusters Rappen pilgerten die Verehrer Bruckner's ins Stift, um den hehren Weisen, welche Meister Bruckner dem großartigen Instrumente entlocken sollte, zu lauschen. Gegen halb 4 Uhr füllte sich die Stiftskirche und bald ward bei der Orgel das freundliche Gesicht unseres lieben Bruckner sichtbar. Am Chor hing ein riesiger Lorbeerkranz mit einer in unseren Stadtfarben erglänzenden Schleife geziert, auf welchem [sic] in goldenen Lettern die große Wahrheit "Dem Meister deutscher Tonkunst" als Widmung stand. Dieser Kranz, eine Spende zweier kunstbegeisterter Steyrer Damen, die es übernommen hatten, aus eigenem Antrieb hiemit zugleich die Verehrung und Bewunderung unser Aller durch Ueberreichung dieses Kranzes auszudrücken, veranlaßt uns diesen Damen: Frau Meta Moritsch und Fräulein Gisela Schneider im Namen aller Verehrer Bruckners den wärmsten Dank auszusprechen.
    Um halb 4 Uhr begann das Concert und Bruckner gab eine seiner weltberühmten Improvisationen zum Besten. Anfangs leise, immer mehr anschwellend, bis zu ungeahnter Kraft steigernd, erklang die hehre Todtenklage um Siegfried aus der Götterdämmerung und erschütterte die Zuhörer. In genialer Weise folgte die contrapunctistische Verarbeitung; doch bald fügte sich ein neuer Trauergesang, ebenso hehr und erhaben an die Siegfried's Klage an, es war Bruckner's Trauermusik aus dem Adagio seiner VII. Symphonie, welche Bruckner im tiefsten Schmerze über Meister Wagner's Tod niederschrieb.
    Diese vereinten gleich erhabenen Trauergesänge Wagner's und Bruckner's, waren sie nicht der Ausdruck des schmerzlichsten Vorwurfes: Ja, war es denn möglich, daß die eigene Nation sich dem Geiste Wagner's so lange wiedersetzte [sic]? und muß denn unser Bruckner, der geistig mit Wagner am bedeutendsten Verwandte, im verschärften Maße erdulden, was Wagner litt! Wagner fand ja in dem erlauchten Könige Ludwig eine Stütze, um seine Werke zur Geltung bringen zu können, und den Deutschen zu zeigen, was sie im Begriffe waren zu verschmähen.
    Und unser berühmter Landsmann? Wann wird er die helfende Stütze finden, um endlich frei athmen zu können, frei von den Sorgen und Lasten des Schulunterrichtes? Wann wird er nur seiner Kunst leben können?!
    Es ist wirklich eine ergreifend traurige Wahrheit, wenn man bedenkt, daß Meister Bruckner, der heute sechzig Jahre zählt, nur seine wenigen freien Stunden der Composition widmen kann, daß der Hofcapellendienst, das Conservatorium und die leider nöthigen Privatstunden ihm nur die spärlichste Zeit zum Schaffen seiner Meisterwerke gestatten. Was könnte Bruckner schaffen, wenn ihm das Schicksal endlich Freiheit gönnen würde. Zum Componiren des ersten und zweiten Satzes seiner VIII. Symphonie benöthigte er ein volles Jahr! und in seinen Ferien, die keine sechzige [sic] Tage währten, gelang es ihm, die ganze Symphonie mit einem der großartigsten Finale, das je geschrieben wurde, zu vollenden!
    Gibt es einen deutlicheren Beweis, was der Kunst durch Bruckner's Arbeitsüberbürdung verloren geht?! O fände er doch den Erlöser, fände doch seine Klage nach Freiheit berufenen Ortes Zutritt und Gehör! Ist denn unser Oesterreich so arm, daß es für seinen bedeutendsten Tondichter nichts zu vergeben hat?
    Diese Gedanken durchkreuzten mein Gehirn, als ich versunken in der unendlichen Trauer der Gesänge, des niedergehaltenen Schaffensdranges des Meisters gedachte. Da klärte sich der Himmel und mit gottvoller Weihe ertönte ein im Händel'schen Style gehaltenes Intermezzo, welches Bruckner den Trauerweisen, verwoben mit einem Thema der in Steyr vollendeten Achten, zu jubelndem Gesange folgen ließ.
    Nochmals kehrte das Wälsungen= und Sigfrid's Motiv aus der Trilogie zurück, die Trauer aber war verschwunden und im großartigen Gesange aus allen Registern ertönend rauschten mächtige Accorde und eilten jubelnd und jauchzend dem Ende zu.
    O wäre dies das Bild der Zukunft unseres Bruckner's, der heute bereits in Deutschland von berufendster Seite anerkannt wird. Warum zögert man bei uns, in unsrem lieben Wien in gewissen Kreisen, ihm die gebührende Anerkennung zu zollen? Sollte man fürchten, daß sein Glanz das Schimmern bisheriger Größen verdunkeln würde?
    Das Ende der Improvisation entriß mich meinen Träumen und ich sah auf Bruckner, der vielleicht eine seiner großartigsten Phantasien gespielt haben mag. Gleich einem Imperator saß er bei seiner Orgel, bewußt, Großes geleistet zu haben. Wie niedrig mag ihm in diesem Momente die neidische und kleinliche Kritik gewesen sein, die von gewisser Seite ihm gegenüber in Wien geübt wurde.
    Tief erschüttert und zugleich gewaltig erhoben hatte uns alle Bruckner's Kunstleistung und schwer läßt sich der Dank für das Gebotene in Worte kleiden. Möge unser aller Wunsch, daß unser verehrter Meister so gestellt werde, daß er die ihm vom Schöpfer noch gegönnte Zeit voll und ganz seiner Kunst weihen kann, ehestens in Erfüllung gehen, und möge dieser Wunsch durch unser Vaterland zur Thatsache werde, zum endlichen Umsturz des Satzes "Nemo profeta in patria!" C. A.« (*).

Vom selben Konzert berichtet auch die Linzer Zeitung Nr. 198 auf S. 895 [»gestern« - die Kolumne vermutlich datiert 29.8.1885?]:
»* (Kirchenmusik.) Von allen maßgebenden Factoren sorgsam gepflegt, entwickelt der Musikchor an der Stiftskirche in St. Florian bereits seit Jahren eine ganz bedeutende Leistungsfähigkeit [... über Liszts Messe ...] Als Graduale wurde ein "Os justi" von Anton Bruckner in ebenso tadelloser Weise aufgeführt. Wenn wir noch erwähnen, daß Meister Bruckner selbst die Orgel spielte, und überdies nachmittags ein zahlreiches Auditorium durch eine freie Phantasie über das gewaltige Siegfriedmotiv auf der prächtigen großen Orgel erfreute, so wird man uns wohl glauben, daß ein kleiner musikalischer Ausflug nach St. Florian zuweilen recht lohnend ist.« [keine Signatur] (**).

Beim Hochamt in St. Florian führt Karl Aigner eine Mozart-Messe, ein Graduale Angelis tuis von Johannes Diebold und ein Offertorium Benedicite von Bernhard Kothe auf (Bernhard Deubler war offensichtlich nicht mehr [wegen Urlaub?] in St. Florian) (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188508305, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188508305
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11