zurück 25.2.1887, Donnerstag ID: 188702255

Die Linzer Tagespost Nr. 45 berichtet auf S. 4 von der Aufführung der 7. Symphonie in Berlin [am 31.1.1887], den Bericht des Deutschen Tageblatts [vom 2.2.1887] übernehmend:
     " - Bruckners siebente Symphonie. Ueber die kürzlich in Berlin erfolgte Aufführung dieses Tonwerkes schreibt das "Deutsche Tageblatt": "Das vierte Klindworth=Concert, welches am Montag in der Philharmonie stattfand, vermittelte die erste Bekanntschaft des musikalischen Berlins mit Anton Bruckner. Dessen siebente Symphonie in E-dur wurde aufgeführt, zum erstenmale überhaupt ein Werk von Anton Bruckner, und der Mann ist dreiundsechzig Jahre alt. Nun hat zwar schon mancher Componist sieben und mehr Symphonien geschrieben und ist nicht aufgeführt worden, und die Welt hat nichts daran verloren. Hier aber liegt die Sache wesentlich anders. In dieser Symphonie ist ein vom Kopf bis zu den Füßen geharnischter Riese vor uns hingetreten, so daß wir uns nur staunend fragen können: Wie ist es möglich, daß ein solcher Mann bis an seinen Lebensabend unbekannt bleiben konnte, daß er fast das Schicksal so vieler theilte und erst nach seinem Tode anfieng zu leben? Halb Beethoven, halb Wagner, aber doch noch mehr Wagner als Beethoven, steht er vor uns, und doch ist er keines von beiden, sondern eine ganze Erscheinung für sich. Daß er gar nichts nach Aehnlichkeiten in der Wendung seiner Gedanken fragt, thut nichts; hier kann man an die Neunte, dort an die Walküre oder an sonst was denken, ganz nach Belieben, denn im nächsten Moment war's doch nur ein flüchtig Schattenspiel, das sofort die Eigenart seines eigenen Gesichtes zeigt. Die Symphonie hat die hergebrachten vier Sätze, ein Allegro in E-dur, ein Adagio in Cis-moll, ein Scherzo in A-moll und ein Finale in E-dur; aber das sind nur ungefähre Grundtonarten, an die sich Bruckner sonst wesentlich nicht bindet. Seine Melodiegestaltung schreitet im Wagner'schen Sinne vorwärts, Modulation und nun gar die Instrumentation sind ganz Wagner und zwar in so eminent eigenartigem Sinne, daß man recht wohl sagen kann: Bruckner ist einer von den wenigen, die den Bayreuther Meister wirklich verstanden haben, der infolge dessen auch weiß, wie dessen Weise auf dies andere Feld zu übertragen ist. Wer von Reminiscenzen reden will, der mag es in Gottes Namen thun, und da wird ja wohl der eine hier die Walküre, der andere dort den Fafner, ein dritter wohl gar den Feuerzauber u. s. w. entdeckt haben wollen; für uns sind diese Reminiscenzen nur scheinbare Aehnlichkeiten, die sich aus der Natur der Sache gewissermaßen von selbst ergeben. Auf uns hat das Werk, ein Riesenwerk übrigens, einen ganz gewaltigen Eindruck gemacht, so gewaltig, daß es uns geradezu Vermessenheit erschiene, wenn wir nach dem erstmaligen Anhören eine Kritik darüber üben wollten. Das wollen wir vorläufig bleiben lassen. Es wird hoffentlich Gelegenheit geboten werden, diesen verblüffenden Koloß baldigst mehr als einmal wiederholt hören zu können, und dann könnte man der Sache erst näher treten." [keine Signatur]


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188702255, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188702255
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11