zurück 29.7.1895, Montag ID: 189507295

Artikel von Theodor Altwirth (= Elimar) in der Linzer Montagspost Nr. 30: Über seinen Besuch bei Bruckner [am 26.7.1895]. Über Bruckners Versetzung von Windhaag nach Kronstorf [Januar 1843]. Hinweis auf Franz Brunners Bruckner-Biographie:
 
"                 Bei Anton Bruckner.
     Vergangenen Freitag besuchte ich Meister Anton Bruckner in seinem neuen Heim im Belvedere. Bruckner wohnt nicht, wie mehrfach irriger Weise angegeben wurde, im Belvedereschloß, welches dermalen unbewohnbar ist, sondern in einem auf dem Vorplatze zwischen dem Schlosse und dem Staatsbahnhofe befindlichen Nebengebäude, in welchem früher, als die kaiserliche Gemäldegalerie noch im Belvedere untergebracht war, die Wohnungen der Custoden sich befanden.
     Betritt man die Wohnung Bruckners, so kommt man zuerst in das Zimmer, welches seine treue Haushälterin und Pflegerin innehat; dann gelangt man in den Wohnraum des Meisters. Dieses Zimmer hat drei Fenster gegen den sogenannten Kinderspielplatz, welcher an den eigentlichen Belvederegarten und an den botanischen Garten angrenzt. Das frische Grün der Bäume lacht in Bruckners Zimmer herein. An dem mittleren Fenster steht ein Tisch und neben demselben das Clavier. Hier arbeitet der Meister an seiner "Neunten". An der den Fenstern entgegengesetzten Zimmerwand befindet sich ein großes, auffallend breites Bett; ein Kasten, mehrere hübsche Sessel und einige kleinere Tischchen vervollständigen die Wohnungseinrichtung des großen Symphonikers.
     Als ich Bruckners Zimmer betrat, saß er am Clavier, welches mit einer Riesenmenge von Notenpapier belegt war; auf dem Notenpulte lag eine von Bruckners Hand geschriebene Partitur. Der Meister sieht recht gut aus. Als ich ihn im vergangenen November zuletzt sah [29.10.1894, Bericht 5.11.1894], war sein Gesicht eingefallen und blass; jetzt ist es voll und geröthet; sein Auge ist frisch und blickt freundlich und heiter den Besucher an. Bruckner erzählte, daß es ihm mit der Gesundheit jetzt ganz gut gehe, nur die Athembeschwerden könne er nicht ganz losbringen. Er ist aufgeweckt und munter. Dankbaren Sinnes gibt er seiner Freude Ausdruck über die ihm vom Hofe zur Verfügung gestellte Wohnung. Nachmittags um 4 Uhr nimmt er alltäglich sein Mittagsmahl ein, dann bekommt er seinen Kaffee. Später geht er in den Garten und setzt sich auf eine Bank, sein Auge ruht auf dem herrlichen Bauwerke Fischers von Erlach. Die frische Luft, die immer auf der Höhe des Belvederes weht, und die warmen Sonnenstrahlen über eine wohltätige, kräftigende Wirkung auf den Meister aus. Die übrige Zeit des Tages arbeitet er fleißig an seiner IX. Symphonie, deren Vollendung mit Spannung erwartet wird.
     Im Verlaufe meines Besuches bei Bruckner kam die strittige Frage seiner angeblich strafweisen Versetzung als Schulgehilfe von Windhaag nach Kronstorf im Jahre 1843 zur Sprache. Bruckner erklärte auf das Bestimmteste, daß er nicht strafweise versetzt wurde, sondern daß er sich, da es ihm in Windhaag nicht behagte, an den damaligen Prälaten von St. Florian mit der Bitte wandte, ihn nach einem besseren Schulorte zu übersetzen, und infolge dieses seines eigenen Ansuchens kam Bruckner nach Kronstorf. Durch diese Mittheilung wird der Wunsch des Verfassers der vom oberösterreichischen Volksbildungsvereine herausgegebenen, sehr verdienstvollen Bruckner=Biographie, des Herrn Uebungsschullehrers Franz Brunner (Seite 9) wegen Klarstellung dieser Angelegenheit erfüllt.
     Bruckner zeigte sich sehr erfreut über den Antheil, den seine Heimat an seinem Schicksale nimmt und ersuchte mich, allen seinen Freunden und Anhängern die herzlichsten Grüße zu übermitteln.
                                                  Elimar. "


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189507295, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189507295
letzte Änderung: Nov 27, 2023, 22:22