zurück 30.9.1895, Montag ID: 189509305

Die Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 39 bringt auf S. 1f ein Feuilleton, signiert »H. W.« [Hans Woerz], über Kirchenmusik, in dem Bruckner erwähnt ist:
"    Zur "Uniformirung" der Kirchenmusik.
       H. W. Zu Frastanz im schönen, betriebsamen Lande Vorarlberg erscheint seit 25 Jahren ein kleines kirchenmusikalisches Fachblatt unter dem Titel: "Der Kirchenchor". Daß ich in unserem verjudeten und verlutherten Wien von der Existenz dieses weit draußen an der Westgrenze der Monarchie zunächst "für die Cäcilien=Vereines Vorarlbergs und der Diöcese Gurk" arbeitenden katholischen Kunstorganes volle 24 Jahre lang nichts erfahren habe, werde ich gewiß nicht als Gradmesser für den literarischen Werth des "Kirchenchor" ansehen, denn im Getriebe einer Großstadt bleiben Einem oft auch andere Dinge unbekannt, welche fern von hier in ländlicher Abgeschiedenheit die Herzen und Geister vieler wackeren Leute bewegen. [... Stellung der Kirchenmusik (im Konzertsaal etc.) ... Gregorianik "allein seligmachende Kirchenmusik"?? ... "den heutigen Menschen die heutige Kunst" ...].
     Da erhebt sich nun mein verehrter College Dr. Rob. Hirschfeld und gibt in der "Presse" die feierliche Erklärung ab: Die einzig wahre katholische Kirchenmusik ist die Vocalmusik, weil sie die älteste, die Instrumentalmusik hingegen nur "das klingende Wahrzeichen des Modernen in der Tonkunst" ist, und die einzig wahre kirchliche Vocalmusik darf selbstverständlich nur auf dem gregorianischen Chorale fußen, der ja uralt ist und von einem Papste herrührt. Eine andere Kirchenmusik soll gar nicht geduldet werden. Hirschfeld zeigt sich also päpstlicher als die Päpste, die sich seiner Ansicht nach einer unzulässigen Toleranz schuldig machen, indem sie den Katholiken des 19. Jahrhunderts gestatten, Messen von Mozart, Haydn, Beethoven, Bruckner, Liszt u. s. w. aufzuführen – leichtfertiges, theatralisches Zeug! Ich bin der Letzte, dem die Liszt'sche Kirchenmusik gefällt; aber wenn ich ihr aus dem Wege gehe und lieber eine stille Messe höre, so liegt der Grund davon wo anders als darin, daß ihr Styl nicht von Papst Gregor dem Großen approbirt wurde. Wer weiß, welche Kunstrichtung der heilige Mann bevorzugen würde, falls er heute lebte? [... über die Cäcilianer (hohe Ziele, aber nur vereinzelt praktisch durchzusetzen) ... Kunst hat eigene Gesetze, "sie ist frei" ...]."


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189509305, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189509305
letzte Änderung: Aug 02, 2023, 12:12