zurück 11.9.1924, Donnerstag ID: 192409115

Aufführung der 7. Symphonie durch das Philharmonische Orchester Bergen unter Harald Heide (*).

Vierseitiger Brief von Carl Reder an Franz Gräflinger:
"[gedruckter Briefkopf:] ENGELHOF
[handschriftlich, sehr klein geschrieben:] Steyr am 11. September 1924
Sehr geehrter Herr!
Ich las vor einigen Tagen in der "Tagespost" [4.9.1924] Ihren schönen Artikel "Bruckner & der liebe Gott" ferner in der N. F. P. von Hermann Bahr "Denkmal für Bruckner" [Neue Freie Presse 4.9.1924] in den Alpenländischen Monatsheften "Erinnerungen an Anton Bruckner" von Dr Carl Diannoni [Giannoni] und erinnerte ich mich beim Lesen dieser [an] den Tonkünstler gerichten [? gemeint: "gerichteten?] Artikel an eine Begebenheit aus dem Leben Bruckners, die Sie verehrter Herr interessieren dürfte.
      In den Jahren 1882 bis 1888 verbrachte ich in Wien wöchentlich einigemal die Abende in Bruckners Gesellschaft, ausgenommen in den Ferienmonaten, im Restaurant Gause in der Johannesgasse & waren wir Oberösterreicher zu dritt; durch meinen Freund Almeroth wurde ich mit Bruckner bekannt, denn dieser war ein großer Verehrer des Meisters, galt er doch selbst in unserem Kreis als musikalisches Genie.
      Zum letztenmal war ich mit Bruckner zusam[m]en als ich ihn in schwerkranken Zustand auf der Fahrt von Steyr nach Wien begleitete & ihn dort seiner Wirthschafterin Kathi in der Hessgasse spät abends übergab.
      Bruckner jammerte uns zu dieser Zeit oft vor, wie sehr er durch seine Vorlesungen an der Universität über Harmonielehre, abgehalten werde, sich seinen Musikstudien zu wiedmen [sic?], erstere jedoch nicht aufzugeben vermöge, weil er auf die bescheidenen Einkünfte seines Unterrichtes angewiesen sei.
      Und so kam es denn, daß Bruckner unsern gemeinsamen Freund Almeroth anging, bei Gräfin Lamberg, geborne Werndl und deren Schester [sic] Baronin Imhof, bei mir und noch einem [einer?] Bekannten anzufragen, ob wir nicht bereit wären, je hundert Gulden [eingefügt: monatlich] beizusteuern um mit dem erzielten Betrag von ÖWFl [öw hochgestellt] 500.- jenen Fond zu schaffen, der ihn ermöglichen sollte, seine Professur am Nagel zu hängen.
      Bei Gelegenheit der rechtskräftigen Fassung dieser Zuwendung wurde uns aber von den beigezogenen Notar bedeutet, daß dieselbe einer Schenkung gleichkäme, wodurch sie einem wesentlichen Steuersatze unterliegen würde. Um dieser Abzapfung nun zu entgehen, machte sich Bruckner erbötig für unsere [unsern?] bescheidene[n?] Besteuer [? Beisteuer?] eine Gegenleistung in der Art zu bieten, daß er uns alljährlich, u. z. in den langen Ferien die große Orgel in St. Florian spiele & hielt er auch getreulich dieses Versprechen. Und so fuhren wir denn alljährlich einmal zum Orgelspiele dieses erhabenen Tonkünstlers mit Bekannten nach St. Florian & verbrachten wir auch jedesmal den Abend mit Bruckner zusammen dort.
     Wahren und eigentlichen Genuß an diesem Spiele fand wohl am meisten unser Freund Almeroth, denn uns andern fehlte leider jedwelches Verständniß für diese musikalischerhabene Darbietung.
     Wie oft wir zu diesem Zwecke diese schöne Klosterkirche aufsuchten, weiß ich mich heute nicht mehr zu erinnern, ebensowenig weiß ich noch, wie viele Jahre wir die oben erwähnten Beiträge leisteten.
      Bruckner verbrachte den Großtheil des langen Ferienaufenthaltes im hiesigen Stadtpfarrhof, verblieb, als ich damals jung verheiratet war, Abends häufig bei uns & thut es mir heute erst besonders leid, daß ich von den etlichen Briefen, die Bruckner an uns richtete, kaum einen noch haben werde, denn sie wurden uns von den Verehrern des Meisters nach und nach abgebettelt und vermag ich meinen Enkelkindern höchstens einen [zu] hinterlassen.
     Nach den oben erfolgten Ausführungen komme [ich] nun zu den eigentlichen Zweck dieser Zeilen. Ich nehme nämlich an, daß Sie verehrter Herr zu den besonderen Verehrern Bruckners gehören, denn ich glaube mich erinnern zu können, von Ihnen in der "Tagespost" über Bruckner vor längerer Zeit schon gelesen zu haben. Und als solchen Verehrer will ich Sie fragen, ob Sie Werth darauf legen in den Besitz der vorerwähnten notariellen [nachträglich eingefügt:] Original Urkunde zu kommen, in welchem Falle ich es mir angelegen sein lassen würde, um diese bei den beiden hiesigen [nachträglich eingefügt:] mir bekannten Notaren Nachsuche zu halten; finde & erhalte ich dieses Dokument, werde ich mir erlauben, Ihnen dasselbe zuzusenden.
     Verzeihen Sie verehrter Herr wenn ich Ihre Zeit einige Minuten in unerlaubter Weise in Anspruch genommen habe und bitte ich bei diesem Anlasse die aufrichtige Versicherung meiner Werthschätzung entgegen nehmen zu wollen.
Ihr ergenebster C. Reder.
      NB. Ich habe zur Zeit als ihn sein Erbfeind [sic] Hanslick viele Qual bereitete [nachträglich eingefügt:] oft tagtäglich seine Auslassungen über dieselbe anhören müssen, aber es war ihm ein Trost sich aussprechen zu können. Bruckner war, insbesondere seinen Landsleuten gegenüber aufrichtig freundschaftlich gesinnt, aber [nachträglich eingefügt:] er war doch oft auch recht eigensinnig, daß es vorübergehend Zank gab." (**).
[Siehe auch 15.9.1924 und 21.9.1924]
 


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 192409115, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-192409115
letzte Änderung: Mär 05, 2023, 21:21