zurück Mitte November 1927 ID: 192711157

Artikel von August Hofmann über Bruckners Beziehung zu Marie Bartl in der Neuen Musik-Zeitung Jg. 49 1928 [sic], Heft 4 [Mitte November 1927] auf S. 120ff.
"Beitrag zur Lebensgeschichte Anton Bruckners
Von August Hofmann, Partenkirchen
Es ist bekannt, daß Anton Bruckner, der große österreichische Sinfoniker, einst auch einmal das Passionsspiel in Oberammergau besucht hat. Es war im Sommer 1880. Die Episode ist für seine Lebensgeschichte besonders durch eine Heiratsangelegenheit des Meisters interessant geworden, die sich dort in einer echt Brucknerschen Weise überraschend entwickelte. Im Passionsspiel verliebte sich der bereits 56 Jahre alte Junggeselle in eine der auftretenden Töchter Jerusalems. Er suchte und gewann auch ihre Bekanntschaft und hielt dann die Beziehung zu der aus Oberammergau gebürtigen, erst 17jährigen Marie Bartl mit ernsthaften Heiratsabsichten bis in den Sommer 1881 hinein aufrecht.
     Einzelheiten darüber entnimmt man der Biographie: „Anton Bruckner“ von Max Auer (Amalthea- Verlag, Zürich, 1922). Die dort gegebene Darstellung soll hier noch etwas ergänzt werden.
     Wie Auer berichtet, schenkte Bruckner seiner jungen Freundin seine Photographie mit einer Widmung. Die jetzt schon etwas vergilbte Aufnahme stammt aus dem „Photographischen Atelier von W. Jerie, Marienbad, Atelier: am Kreuzberg nächst dem alten Badehause“. Sie trägt auf der Rückseite eine Widmung in Bruckners feiner zügiger Handschrift. Der genaue Wortlaut ist folgender:
A Bruckner
Wien 7. Okt. 1880
Der allerliebsten
Freundinn: „Frl. Marie
Bartl“.
     Das „Frl.“ ist, wie man leicht und lächelnd feststellt, von Bruckner offenbar erst vergessen und dann nachträglich noch sorgfältig eingefügt worden.
    Die Photographie selbst, Brustbild, zeigt den bekannten Charakterkopf des Meisters in einem noch sehr kräftigen Alter. Aus welchem Jahre sie stammt, ist der Aufnahme nicht zu entnehmen. Vergleicht man sie aber mit der Photographie in Auers Biographie (S. 156), die aus der früheren Zeit „um 1875“ sein soll und den Meister bedeutend älter zeigt, so kann man den Verdacht fast nicht von der Hand weisen, daß sich der sonst so gewissenhafte Meister durch eine um vieles jugendlichere Photographie bei seiner jungen Freundin in bessere Chancen setzen wollte. Es sei denn, daß sich Auer bei der obigen Zeitangabe um etwa 10 Jahre geirrt habe. Wahrscheinlicher ist es, daß Auer recht hat und die der Bartl geschenkte Aufnahme tatsächlich schon aus dem Jahre 1873 stammt, in welchem Jahre sich Bruckner bekanntlich in Marienbad aufgehalten hat.
     In dem Werke Auers ist vergessen worden eines anderen, sehr interessanten Geschenkes Erwähnung zu tun, das Bruckner seiner Freundin verehrte. Es handelt sich um ein Gebetbuch. Man erinnert sich dabei einer Bemerkung aus Ernst Decseys „Bruckner, Versuch eines Lebens“: „Einer jungen Linzerin, die ihm gefällt, schickt er als Zeichen seiner Verehrung ein Gebetbuch. Sie warf es über die Stiege.“ Den gleichen Vorwurf kann man der Bartl, welche wie gesagt von dem frommen Meister, zu dessen täglichen Exerzitien der Rosenkranz gehörte, ebenfalls mit einem Gebetbuche bedacht worden ist, nun glücklicherweise nicht machen; sie bewahrt noch heute sorgfältigst diese schöne Bruckner-Reliquie. Es ist kein weltberühmtes geistliches Werk, das ihr Bruckner schenkte, kein Thomas a Kempis. Bruckner hat ein „einfältigeres“ Gebetbuch für die Freundin gewählt. „Der betende Heiland“ ist „Ein Gebetbuch für alle Stände. Von Ludwig Donin. Mit Genehmigung des f. e. Ordinariates von Wien. Neunte und vermehrte Auflage. Wien 1868. Verlag von Jg. Lienhart, Stadt, Schottengasse Nr. 2 .“ Obwohl das Buch leider mit keiner Widmung versehen ist, steht dennoch die Herkunft aus Bruckners Händen außer Zweifel.
     „Der betende Heiland“ enthält auf 384 Seiten nicht nur die gottesdienstlichen Gebete sowie Gebete für alle Lebensangelegenheiten vom Aufwachen bis zum Schlafengehen, von der Geburt bis zum Tode, Gebete vor und nach dem Lernen, um eine schöne Witterung, beim Gewitter usw., die Texte der Kirchenlieder, sondern auch noch einen ziemlich ausführlichen „Kurzen Unterricht in der christkatholischen Lehre“ in Frage und Antwort. Vier beigegebene Stiche sind dem Gebetbuche ein wirklicher Schmuck. Ein Edelweiß, das im Beichtspiegel liegt, soll von Bruckners Hand stammen.
     Die schöne Ausstattung ist auch gediegen. Der Einband aus gepreßtem Leder trägt auf der Vorderseite ein Oval, das aus vier halben Bögen kreuzförmig zusammengesetzt ist. Es ist in Messing gefaßt und mit rotem Samt unterlegt, darauf sich das Erlöserkreuz, aus Bein geschnitzt, befindet. Das Buch hat Goldschnitt und wird durch eine zierliche Messingschließe geschlossen. Das ganze Buch ist ein sehr überzeugendes Dokument für Bruckners katholische Gläubigkeit.
     Noch einige Bemerkungen zum Briefwechsel Bruckner-Bartl, der sehr lebhaft war. Leider sind die Briefe des Meisters, die 1907 noch vorhanden waren, inzwischen dem Feuer zum Opfer gefallen, angeblich bei Brand. Dagegen hat man noch die Antwortbriefe der Bartl, die im Nachlasse Bruckners vorgefunden wurden. Ueber diese Bard-Briefe darf man eine besondere Bemerkung nicht verschweigen, die ein etwas merkwürdiges Licht auf die ganze „Liebesangelegenheit“ wirft. Sie sind nämlich gar nicht von der jungen Bartl geschrieben; vielmehr haben sie zur Verfasserin deren Mutter, die sich in der besten Absicht für ihre Tochter bemühte, die Heirat zustande zu bringen. Die Tochter nahm jeweils nur immer Kenntnis von den Schreiben der Mutter.
     Nach Erzählungen der Bartl soll Bruckner in seinen Liebesbriefen ziemlich ausführlich und langatmig gewesen sein. In der Anrede, die allein schon vielfach eine ganze Seite beanspruchte, habe er sich überschwänglich mit vielen feinen und hohen Kosenamen kaum genug tun können. Er legte seinen Briefen gerne Wiener Ansichten bei (z. B. des Ringtheaters), anscheinend um damit der künftigen Frau die neue Heimat näher zu bringen. Ausführlich scheint Bruckner über seinen Gesundheitszustand berichtet zu haben, so insbesondere über ein Fußleiden und dessen Heilung. Dagegen hat er sich, wie es scheint, über Musik, eigene und andere, nicht einmal besonders ausgelassen. Man könnte wohl an Hand der Bartl-Briefe jetzt noch manche Kleinigkeit aus der Erinnerung der nun gealterten Bartl zutage fördern. Im ganzen dürfte ein solches Unternehmen sich jedoch wenig lohnen. Es gibt eben keinen Ersatz für die verlorengegangenen Bruckner-Briefe mehr.
     Der Hauptgrund, weshalb die Ehe nicht zustande kam, dürfte denn doch in dem zu großen Altersunterschiede liegen. Die 17-Jährige konnte sich nicht entschließen, einen um 40 Jahre älteren Mann zu nehmen und so ließ sie schließlich den „platteten Organisten“ sein (Bruckner trug das Haar ganz kurz, während die Oberammergauer Passionsspieler bekanntlich mit langen Apostelmähnen herumlaufen). Aber selbst der begeistertste Brucknerianer kann ihr das nicht verübeln. Der sonderbare Kauz war schließlich doch Bruckner. Großes Genie hindert nicht Unvermögen in verhältnismäßig einfachen Lebensdingen."


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 192711157, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-192711157
letzte Änderung: Jan 07, 2024, 2:02