zurück 8.7.1930, Dienstag ID: 193007085

Gutachten von Roland Graßberger über den Sarkophag in der Gruft von St. Florian, zu Händen von Propst Vinzent Hartl:
     Basiert auf den am 5.7.1930 gemachten Feststellungen. Nach Mitteilung von Prof. Gottfried Schneider (seit 1921 "Kustos ecclesiae") sei bereits unter einem seiner Vorgänger eine Renovierung des Sarkophags vorgenommen worden. Etwa 1927 habe Schneider bei Abnahme des äußeren Sargdeckels Flüssigkeit am Boden des Zwischenraumes festgestellt, aber keine auffällige Veränderung am Leichnam selbst. 1929 habe ein Wiener Bruckner-Freund [Adolf Wenusch, ab 12.9.1929] weiße Auflagerungen im Gesicht der Leiche als Schimmelwucherungen verdächtigt. Über Josef Kluger in Klosterneuburg sei diese Information an Franz Moissl gelangt, der um ein Gutachten gebeten habe.
     Am 5. und 6.7.1930 hätten er, Graßberger, und sein Assistent Dr. Noziczka die Gruft überprüft. Diese sei sehr geräumig, mit dem Gesamtgruftraum verbunden, stünde jedoch durch  nicht verglaste, sondern nur vergitterte Türen und Fenster mit der Außenluft in Verbindung. Das Mauerwerk selbst sei gesund, zeige nirgends (auch nicht im verputzten Bereich) Feuchtigkeitsschäden. Dennoch sei im Bereich der Gruft die Luftfeuchtigkeit sehr hoch (92 - 95 % bei ca 14° Temperatur). Eine Messung über Nacht ergab ebenfalls konstant 95 %. Der CO²-Gehalt habe 1,135 ‰ betragen. Das Abscheiden von Wasserdampf zeige sich z. B. an den Granitpfeilern in Form von Wassertropfen und an den aufgeschichteten Schädeln an einer waagerecht verlaufenden braunen Farbänderung (Pilzwucherung). Schuld an der hohen Luftfeuchtigkeit seien vermutlich die Ausdünstungen der vielen Besucher. Das Stift habe aus verständlichen Sicherheitsgründen (genügend Atemluft bei Besucheransturm, drohender Luftmangel durch Fackeln und Kerzen) die Tür- und Fensteröffnungen offen gehalten. Gerade in den Sommermonaten führe das zu einem bedrohlichen Feuchtigkeitsanstieg (außen 40 %, innen 90 %). Am 5.7. seien außen 28,8 ° und 26 % relative Feuchtigkeit gemessen worden. In den Wintermonaten dagegen führe das Lüften zu einer Austrocknung.
     Beschreibung des Sarkophags: Marmorsockel, darauf ein profilierter Sandsteinsockel, darauf wiederum der äußere Metallsarg, bestehend aus einem Unterteil und einem übergreifenden Deckel, beide Teile außen mit Bronzefarbe gestrichen, innen mit grauer Ölfarbe. Der Bronzeanstrich zeige viele kleine Grünspanauflagen. Zwischen innerem Metallsarg (ebenfalls zweiteilig) und äußerem Sarg bestehe ein schmaler senkrechter Spalt. Der Deckel des Innensarges sei an den Falz des Unterteils vollumfänglich angelötet. Das im obersten Teil des Deckels eingekittete Glas sei völlig duchsichtig geblieben. Mit Beleuchtung erkenne man, dass der ursprüngliche Innenanstrich fast überall verloren gegangen sei. Soweit sichtbar, ist die gesamte "innere Oberfläche des Innensargs mit dicken, weissen blätterigen krustenartigen Auflagerungen belegt", von denen Krümel auf den Leichenrock gelangt seien.
     Im Gegensatz zu den Auflagerungen auf der Metalloberfläche ("Ausblühungen" von Zinkoxyd oder Zinkkarbonat) seien die zahlreichen weißlichen Ablagerungen auf dem Gesicht und auf den Händen der Leiche anderer Natur, erinnerten an Pilzkulturen - Untersuchung erst nach Auflöten des Sarges möglich. Das gelbe Sargtuch sei stellenweise durchtränkt und verfärbt. Unter dem Glas habe man zwei Mücken beobachtet. Der Deckel des Innensarges sei recht gut erhalten, wogegen das Unterteil umfangreiche weiße Ausblühungen zeige. An der Schmalseite der Kopfseite bestehe ein schlitzförmiges Loch (Beschädigung durch einen Spengler). Im Spalt zwischen Außen- und Innensarg sei Flüssigkeit festzustellen, die möglicherweise früher sogar 1 cm höher gewesen sein könne. Ziemlich sicher lasse sich sagen, dass die Veränderungen am inneren Metallsarg und an der Leiche nicht mit der erhöhten Luftfeuchtigkeit zusammenhingen, sondern "durch Vorgänge im Innern des Sarges" entstanden sein. Durch Oxydierung und Karbonisierung sei die Metallwand sehr dünn geworden, so dass derzeit eine Verbindung mit der Außenluft im Gruftraum  bestehe. Durch das Loch im Innensarg seien so Pilzwucherungen begünstigt worden, wozu elektrolytische Prozesse kämen (zwischen dem Metall der Särge und dem [von Paltauf] verwendeten Sublimat. Das Verdunsten der Bodenflüssigkeit werde duch die hohe Luftfeuchtigkeit erschwert.
     Schlussresumee: "Der innere Metallsarg ist als völlig zerstört und unbrauchbar zu bezeichnen" - die Feuchtigkeit im Gruftraum sei nicht die Ursache. Der Leichnam zeige Pilzwucherungen; der Ziel der Leichenkonservierung, die Form des Leichnams zu erhalten, sei "wesentlich gefährdet", zudem sei bewiesen, dass die seinerzeitigen "Präparate für das weitere Konservieren der Leiche unwirksam sind."
     Mit der Untersuchung der Leiche und mit der weiteren Untersuchung sei ein Anatom der kompetenteste Mann. Hartl möge sich dafür an Prof. Dr. Hochstätter wenden. Die Methoden der Pilzbeseitigung, die prophylaktischen Maßnahmen und die Wahl des Materials für den unbedingt erforderlichen neuen Innensarg können erst nach Öffnen des Sarges besprochen werden.
 
Beiliegend 1 hydrographische Aufnahme "Feuchtigk. u. Temp. Kurve im Sarkoph.-raum von 1/2 4 Uhr 5/VII bis 9 h 6/VII 1930", 2 Photographien des Leichnams Bruckners in jeweils 2 Exemplaren ("Photo Reichl Leo Chorherr u. Organist 1932" bzw. "Erste Umbettung 1932", vermutlich auch Reichl).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 193007085, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-193007085
letzte Änderung: Apr 20, 2023, 22:22