Brief von Hans Pfitzner an Dr. Oswald [einseitiges Typoskript]:
»16. Januar 1932
    Sehr geehrter Herr Oswald,
    Ich stehe gerade vor einer Reise und kann Ihnen nicht so ausführlich antworten wie Sie vielleicht wünschen, möchte die Antwort aber doch nicht hinausschieben, weil sie sonst vielleicht ganz in Vergessenheit geraten könnte. Deshalb bitte ich Sie, mit folgenden wenigen Zeilen vorlieb zu nehmen. 
    Ich habe in meinen Schriften bisher vermieden, Bruckners Namen zu nennen, weil ich die Bruckner-Freunde nicht kränken will. Ich persönlich halte nämlich gar nichts von ihm, wie ich überhaupt misstrauisch bin gegen alle Komponisten [handschriftlich eingefügt: (Hugo Wolf etc)], die nur ein einziges Gebiet bebauen. (Wagners Mission ist eine Ausnahme) Ich finde Bruckner maß- und formlos, monoton, langweilig, und kenne kaum ein Thema, von ihm, was mich innerlich stark berührte, sagen wir: was mir gefällt. Brucknern ist zu Lebzeiten Unrecht getan worden. Er hätte mehr aufgeführt werden sollen. Diese Vernachlässigung ist jetzt m. E. auf übertriebene Weise ins Gegenteil umgeschlagen. Ein jeder grosse Komponist muss eine gewisse Universalität haben. Denken Sie an die Reihe der Grossen von Bach bis Brahms. Denken Sie an die neun Sinfonien von Beethoven und an die neun von Bruckner: neun grundverschiedene Menschenkinder und neun junge Elephanten.
    Es mag sein, dass mir ein Organ für Bruckner fehlt, das andere haben. Ich vermute, es ist die katholische Frömmigkeit, die den Hörer befähigt, dort [»dort« handschriftlich unterstrichen] zu verstehen und zu fühlen, wo es rein musikalisch nicht möglich ist. Die Scherzis sind sein bestes. 
    Sie wollten von mir Auskunft haben. Ich habe sie Ihnen aufrichtig erteilt. Hoffentlich kränkt es Sie nun nicht. Im Übrigen danke ich Ihnen sehr für Ihren Brief, der mich wirklich sehr erfreut hat.

    Mit hochachtungsvollen und Herzlichen Grüssen Ihr ergebener [handschriftlich:] DHans Pfitzner«