zurück 29.12.1864, Donnerstag ID: 186412295

4. und letzte Fortsetzung von Gamons Besprechung der d-moll-Messe vom 30.11.1864 in der Linzer Zeitung Nr. 297, S. 1235 [*]:
»Messe in D., komponirt von Anton Bruckner, 
ausgeführt am 20. November in der Domkirche zu Linz.
V
   F. Linz, 25. Dezember. Herr Bruckner hat nicht nur mit großer Meisterschaft die höchsten Aufgaben der Tonkunst gelöst, sondern auch, und zwar namentlich seine Begabung für den höheren Styl, die Symfonie bewiesen.
   Bruckner wendet sich mit großer Vorliebe dem polyphonen Styl zu, und dies sicherlich nicht, um zünftig zu erscheinen, oder aus bloßem Gefallen an selbst auferlegten Schwierigkeiten, sondern weil der polyphone Styl nur der höchsten Ideen würdig ist.
   Die Verwirklichung des Kunstideals gelangt am würdigsten zur Anschauung in den strengen Formen des mehrfachen Kontrapunkts, weil diese bei plastischer Anschaulichkeit, Tiefe und Kraft der Charakteristik zulassen.
   Daß Bruckner aber nicht überall die Loslösung der einzelnen Stimmen zu ebenmäßig, schön geformten Gliedern gelang, dürfte wohl dem Erstlingswerke zuzuschreiben sein.
   Das Kyrie in D-moll, wozu Bruckner nur Kyrie eleison, Criste eleison [sic], genommen, ist musikalisch schön angelegt, durch die Vorhalte zwar düster, wird aber durch die zweimalige Steigerung in den lebendig rythmisirten Streichinstrumenten von ergreifender Wirkung, so daß die etwas unverhältnismäßige Länge und Textauseinanderdehnung verschwindet.
   Im Gloria ist es die Auffassung, welche überrascht. Bruckner beginnt mit der Antwort der Gemeine "et in terra pax hominibus, bene voluntatis" im Vokalen und gelangt mit den Worten laudamus te, benedicimus te zum Fortissimo im hellen D-dur-Dreiklange mit schöner, instrumentaler Figurirung, wodurch er einen wahrhaft majestätischen Eindruck hervorruft.
   Auf gleicher Höhe erhält sich Bruckner im Gratias und qui tollis und steigert sich noch in der kurzen, aber vollständigen Schlußfuge, welche in jeder Beziehung tadellos, in den leichten Violinfiguren aber von besonderer musikalischer Schönheit ist.
   Das Credo bringt uns wieder die Antwort des Volkes: "Patrem omnipotentem ..." in mächtigen, überzeugenden Akkorden, und steigert sich im judicare, in welchem die Streichinstrumente mit von einander verschiedenen, kühnen Figuren wunderbar wirken, zur überwältigenden Kraft.
   Es ist dies die hervorragendste Stelle in der Messe, und scheint auch mit besonderer Vorliebe gehegt worden zu sein.
   Von schöner, musikalischer Wirkung ist auch das et resurrexit, wofür wir jedoch eine andere Auffassung gewünscht hätten. Indem Bruckner mit den Contrabässen beginnt, und dann Instrument für Instrument eintreten läßt, braucht er 28 Takte, um endlich im Vokalen das überzeugende et resurrexit bringen zu können.
   Wenn nun diese Auffassung, welche der neueren Richtung angehört, ihre Vertheidigung in der vielleicht zu wörtlichen Auslegung der Worte finden mag, so glauben wir doch nicht Unrecht zu thun, wenn wir sagen, daß es den Eindruck macht, als ob jemand mühsam sich erheben würde.
   Ueberwältigender und überzeugender würde diese Stelle (Der Heiland ist erstanden) ohne diese vorbereitenden Einleitungen, welche auf einer zu naturalistischen Anschauung beruhen, sein. - 
   Das Gloria und Credo sind es, welche für Bruckners großes Talent namentlich dadurch zeugen, daß hier das Instrumentale als von der Natur des Vokalen bedingt, herauswächst. Diese zwei Sätze sind es, welche dem Besten auf dem Gebiete der Kirchenmusik sich würdig anreihen.
   Die übrigen Sätze stehen nicht auf dieser Höhe, wenngleich auch das Benedictus in der Führung des Vokalen, und das Dona nobis pacem in der besänftigenden Klarheit von hervorragender Bedeutung sind.
   Herr Bruckner, durch die freundliche Mitwirkung vieler Musikfreunde in den Stand gesetzt, die Messe auch würdig zur Aufführung zu bringen, erhielt noch im Dome einen Lorbeerkranz mit Atlasbändern, und einem Widmungsgedichte von wahrhaft poetischem Inhalte.
   Die Anfangs- sowie die Schlußzeile desselben war auf je einem Bande mit goldenen Lettern gestickt zu lesen und lautete:
   "Von der Gottheit einstens ausgegangen,
   Muß die Kunst zur Gottheit wieder führen."
   Doch auch die weltliche Anerkennung sollte nicht ausbleiben. Durch ein von dem Kunstkenner und Kunstfreunde Hr. Kreiskommissär v. Maifeld veranstaltetes Konzert spirituel kam diese Messe am 18. Dezember 1864 auch im Redoutensaale unter der freundlichen Mitwirkung der früheren Betheiligten, sowie der hiesigen ersten Opernkräfte zur Ausführung, und trug dem Komponisten auch den Beifall eines vollen Saales ein.
   Möge Herr Bruckner hierdurch zu fernerem Streben angeeifert werden!«


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186412295, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186412295
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11