zurück 4.1.1865, Mittwoch ID: 186501045

Übersicht:
1. Artikel in den »Christliche Kunstblättern« (*).
2. Notiz im Linzer Abendboten (**).

(*) Bericht in den »Christlichen Kunstblättern«, S. 3f, über Bruckners Qualitäten als Orgelspieler, Theoretiker und Schöpfer der d-moll-Messe:
»Einige Gedanken über Brukner's Messe.
   Sie erwarten, theuerster Freund! heute einen eingehenden Bericht über Brukners Messe. Nach unserer letzten Zusammenkunft hatte ich wohl einen Aufsatz geschrieben, aber ich ließ ihn lange Zeit auf meinem Pulte liegen, da mich die Erfahrung lehrte, daß man es manchmal in gewissen Fällen mit den Aufsätzen machen müsse, wie mit den Aepfeln! - 
   Nun, es hat sich wohl nicht meine Anschauung und Ueberzeugung, wohl aber mein Plan geändert und ich theile Ihnen hiemit nur einige Gedanken mit, die sich mir bei und nach Anhörung des Brukner'schen Tonwerkes aufgedrungen haben, das, wie Sie wissen hier als Kirchenmusik beim Opfer der hl. Messe und als geistliches Conzert im Redoutensaale aufgeführt wurde.
   Brukner, rühmlichst bekannt als einer der besten Organisten, dessen einfachste, aus dem Stegreife gespielte Präludie nicht minder anspricht wie seine großartig ausgeführte Orgelphantasie, hat bereits durch eine Reihe von Jahren mit unermüdlichem Fleiße, mit seltener Beharrlichkeit, mit Aufwand bedeutender Geldmittel auf die Künstlerlaufbahn sich vorbereitet und er hat über den Erfolg seiner Studien in dieser Hinsicht die ehrenvollsten Zeugnisse - ich erwähne hier nur das Zeugniß des Kontrapunkt Fürsten Sechter - ein seinen Händen.
   Wenn nun ein mit Musiktalent begabter Mann, der, - ein wichtiger Umstand - schon aus der Praxis heraus sich zu einer bedeutenden Höhe emporgeschwungen hatte, nun noch die angestrengtesten Studien macht, und dabei vermög seiner Stellung als Organist auch beständig in der Lage ist, seine Ideen zu verwerthen, konnten Sie da wohl, wenn er nun als Tonsetzer öffentlich auftritt, anderes als Vorzügliches von ihm erwarten? Ich wenigstens, der ich oft genug Gelegenheit hatte, in den Klängen der Orgel den Höhenmesser seines Talentes und seiner Studien zu erkennen, habe nie Anderes als Vorzügliches erwartet.
   Worauf ich vor Allem Ihre Aufmerksamkeit lenken möchte und was tief in die Wagschale fällt bei Beurtheilung des Brukner'schen Tonwerkes, das ist die Intention, die Brukner hatte, und die er auch öffentlich ausspricht; daß er nämlich zum Danke gegen Gott und zu seiner Ehre in der Messe alles das niederlegen wollte, was er an Mitteln seiner erlernten Kunst besäße, und daß zuerst im Hause Gottes sein Tonwerk erschallen möge. Dieser Umstand gilt bei mir sehr viel, geehrter Freund! Und daß er gerade eine Messe hiezu wählte hat wieder seine gute Bedeutung. Denn [mehrzeiliges Zitat] „alle Kunst „geht von der Religion aus und kehrt zur Religion zurück. „Das religiöse Bedürfniß des Menschen ruft das künstlerische „Vermögen wach, damit es ihm dienstbar werde; ist aber die „Kunst zur Vollkraft gediehen, dann wendet sie freiwillig und „gleichsam dankerfüllt ihr höchstes Vermögen der Religion zu „und erachtet Aufgaben religiösen Inhaltes für ihre höchsten."*) [Fußnote: »*) Dr. Ambros. Kulturhistorische Bilder.«]
   Doch nun zur Messe selbst.
   Geniale Auffassung, Schwung der Phantasie, Gedanken-Reichthum, edle Motive, schöne Züge und großartige Partien kann nur Leidenschaft oder blindes Vorurtheil diesem Werke absprechen. Das Gemeine und Triviale, das Werkelmäßige und Abgeleierte findet darin keine Vertretung, wohl aber das Erhabene, Edle, Interessante. Bitte, Jubel und Klage, Liebe und Glaube sind darin unverkennbar ausgesprochen.
   Ich will versuchen hier nur ein Paar der schönsten Partien und Züge näher zu charakterisiren, woraus Sie erkennen können, mit welchem Ernste, und mit welchem Verständnisse Brukner ans Werk ging.
   Die Streichinstrumente leiten, einander imitirend, im bangen D-mol den Gesang des Kyrie,**) [Fußnote: »**) Der Text des Kyrie ist: Kyrie eleison 3mahl. Christe eleison 3mahl. Kyrie eleison 3mahl.«] ein, der von den Singstimmen erfaßt in seiner fortwährenden öfter durch helle Dreiklangfolgen unterbrochenen Steigerung den Ausdruck des Flehens um Erbarmung enthält. Die Worte Christe eleison beginnen, 2 Solostimmen, die sich vorerst in dem Rufe nach Erbarmung gleichsam unterstützen und einander ablösen bis sich die übrigen Stimmen wieder unter sie mengen und das eleison beständig wiederholen. Während dann die Singstimmen wieder unisono Kyrie eleison rufen führen die Instrumente noch den Rythmus des Christe eleison fort, bis der Ruf verhallt, um dann beim zweiten Hauptthema wieder aufs neue aufgenommen zu werden, wo er im strengen Kontrapunkt durchgeführt und endlich von den Violinen gleichsam als den Ausläufern des Gesanges unter dem Wirbel der Pauke pianissimo zu Ende geführt wird.
   Das Gloria beginnt ein unisono Gesang mit den Worten Et in terra pax*) [Fußnote: »*) In den älteren Messen ist dieß durchaus beobachtet, sowie auch beim Credo der Beginn des Chores mit Patrem. Freilich soll dann der Chor in dem Choral, welcher hiefür besteht, - oder wenigstens in einem [sic!] nicht zu sehr mit dem Choral contrastirenden Weise fortfahren.«] und das ganz recht, weil der Chor sich unmittelbar anschließt an den Altargesang des Priesters, der das Gloria in excelsis Deo singt. Darum auch die jubelnde Lobpreisung im klaren D-dur erst bei den Worten Laudamus te, welches die Singstimmen, unterstützt von den Blasinstrumenten, in vollen Akorden anstimmen, während die Streichinstrumente im Canon der obersten und untersten Stimme auf und niedersteigen.
   Die Worte gratias agimus tibi, Jesu Christe, suscipe deprecationem nostram, bei welchen der fungirende Priester nach Vorschrift der Liturgie das Haupt neigt oder entblößt, da ihnen eine hohe Bedeutung zukommt, sind gebührend hervorgehoben; besonders macht sich der höchste Affekt geltend im Suscipe, welches ein Bass-Solo einleitet das dann noch zwischen den sanften Klängen der Sopran- und Altstimmen scharf markirt das miserere ruft und im Quoniam wieder das ursprüngliche Thema des Gloria einleitet. Besonders hervorgehoben sind im folgenden mit Recht die Worte Jesu Christe, die zuerst mit Begleitung der Posaunen, dann von den Singstimmen allein vorgetragen und in fortwährender Steigerung wiederhohlt werden. Cum sanctu spiritu, welches gewöhnlich mit einer Fuge beginnt schließt sich noch an den vorhergehenden Satz an und erst mit Amen beginnt eine Fuge mit einem Hauptsatze und 2 Contrasubjekten in den Singstimmen, während die Streichinstrumente unter sich contrapunktiren und die Bässe wieder auf eigenen Pfaden auf- und niedersteigen. Der Orgelpunkt, - ein passend Bild der Ewigkeit - sammelt und vereinigt die unter sich verschlungenen Stimmen die dann mit erneuerter Kraft das Thema der Fuge in langen getragenen Akorden wiederholen und so das Gloria schließen. - 
   Zu den schönsten Einzelnpartien gehört unstreitig das Et incarnatus est. In der ganz ungewöhnlichen Tonart Fisdur, von welcher Jemand sagt, daß aus ihren Tönen der Triumph in der Schwierigkeit, das freie Athmen auf überstiegenen Hügeln, der Nachklang einer Seele die stark gerungen, aber endlich doch gesiegt hat, spricht, - beginnt das Et incarnatus est 3stimmig imitirt nach dem strengen Styl während die Begleitung der Streichinstrumente sanft auf- und niederwogt und schließt dann in Verbindung mit der vierten Stimme die sich dazu gesellt nach einigen Modulationen in C-dur bei den Worten et homo factus est - ein allerdings etwas greller Uebergang, doch ganz entsprechend, wenn man denkt, daß hier der Text das Größte, das Wunderbarste was es gibt ausspricht. Auch die Alten haben diese letzteren Worte immer besonders hervorgehoben. - Das Sanctus beginnt einfach. Die beim pleni eingetretene Bewegung steigert sich zum Ausdruck einer belebten Freudigkeit im Osanna.
   Im Benedictus tritt originell ganz unerwartet der Gesang in das Vorspiel des Orchesters und wechseln dann die Stimmen ab, die Einkehr des Herrn zu besingen. Beim eintretenden Chor macht eine zweite [Korrektur in einer Fußnote im Artikel vom 1.2.1865: »zarte«] Violin=Figur gute Wirkung. - 
   Die in schlichten Viertelnoten absteigende Weise, unter welche sich der Ruf Agnus Dei mischt, ist ergreifend und schön. - Noch erwähne ich, daß im Dona nobis welches sich in natürlicher Verbindung an den letzten Ruf des Agnus Dei anschließt noch einmal Haupt-Motive der Messe vorüberziehen, zuerst das Et vitam aus dem Credo im veränderten Rythmus, dann Motive aus dem Kyrie, dann zuletzt unter einem Orgelpunkte und nach Eintritt der Holzharmonie das Fugenthema aus dem Gloria aber jetzt in der Vergrösserung. Die Violinen, welche die Messe begonnen führen sie dann auch sanft zu Ende. - 
   Aus dem wenigen, was ich hier angeführt, mögen Sie schon erkennen, Verehrtester, daß Brukner's Messe kein gewöhnliches Fabrikat ist. Doch bin ich auch nicht mit Allem und Jedem einverstanden, was in der Messe sich findet. Ich werde Ihnen ein andersmal meine Gedanken hierüber mittheilen.« (*).


(**) Notiz im Linzer Abendboten Nr. 3, S. 1:
»Tagesneuigkeiten.
   [...] + Wir freuen uns, die Mittheilung bringen zu können, daß A. Bruckner die Freude erleben wird, seine „große Messe” bei einem sehr feierlichen Anlaße in Wien zur Aufführung gebracht zu hören, nämlich bei der heuer stattfindenden Feier des 500jährigen Bestandes der Wiener Universität. Ehre, dem Ehre gebührt!« (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186501045, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186501045
letzte Änderung: Dez 23, 2023, 20:20