zurück 28.5.1865, Sonntag ID: 186505285

Bericht Speidels im Wiener »Fremdenblatt« Nr. 146 auf S. 5 (3. Teil) über die Verzögerung der Tristan-Uraufführung. Er berichtet von Bruckners Schwierigkeiten mit den Salzburger Behörden beim Grenzübertritt; Herbeck griff helfend ein. Bruckner erkundigte sich fast täglich nach dem Befinden von Frau Schnorr-Carolsfeld.

      »Das Fest der Zukunftsmusiker in München.
        III.
            München, 25. Mai.
  sp. Viele wohldenkende Männer, die sich in ihren Tristan-Hoffnungen getäuscht sahen, haben in jenem dunkelbraunen Maitranke, den man weit unter seiner Würde mit „Bock” anspricht, zeitweilig Trost und Halt gefunden. [... über die lange Wartezeit bis zur Aufführung, seinen Reisegefährten Daniel Spitzer ...] Neben dem sittigen Stilleben dieses Spatzenbändigers [= Daniel Spitzer] macht die Lage des Domorganisten Bruckner aus Linz einen nahezu tragischen Eindruck. Dieser Mann, welcher sich ebensowohl durch seine grossen Kenntnisse im einfachen und doppelten Kontrapunkte, als durch seine übertriebene Bescheidenheit auszeichnet, nebenher auch einer der bedeutendsten Organisten ist, die ich kenne - er hatte kein anderes Reisedokument als einen Heimatschein mitgenommen, auf den hin ihn die betreffende Behörde in Salzburg nicht nach Baiern hinüberlassen wollte, bis zwei Wiener, darunter unser Herbeck, für seine kriminelle und politische Unschuld Bürgschaft leisteten. Wie verwünschte er nun in München, wo er 'Tristan und Isolde' vergeblich erwartete, sein zweideutiges Salzburger Glück! Die Paßpolizei sollte ihres Amtes strenger walten, war seine Meinung, und man hätte ihn über die Grenze nicht so leichtfertig sollen herüberlassen, denn er habe einmal als sechsjähriger Knabe seiner Mutter Zucker aus dem Kasten gestohlen. In München nun ist er einer der fleißigsten Besucher des Marienbades in der Barrerstrasse, wo das Schnorr'sche Ehepaar wohnt und ein niedliches Kammermädchen den anfragenden Fremden ihre dunkel klingenden Orakel über das Befinden der Frau des Hauses ertheilt. Täglich kommt er von diesem Gange mit so kläglicher Miene zurück, daß ich einmal nicht umhin konnte, ihn den Linzer Tristan zu nennen und den Domorganisten in ihm zur christlichen Geduld anzuhalten.
   Auch Richard Wagner scheint sich in München, wenigstens was seine sterbliche Hülle betrifft, nicht ganz wohl zu befinden. Der theuere Meister ist mumienhaft eingeschrumpft, und wenn er über die Straße wandelt, sieht er aus wie ein grauer Fleck in der Schöpfung.
[... (Speidel) wird heute abends nach Wien abreisen ...]« (*).

Artikel in der Linzer Tages-Post Nr. 122 auf S. 3f über das kommende Sängerfest: "Herr Dr. Silberstein aus Wien, Dichter des Textes zu Bruckner's "Germanenzug" hat sein Erscheinen beim Feste zugesagt". Im folgenden Text noch Beschreibung des Festzuges, Organisatorisches, Ausgabestellen für Karten (darunter Josef Kaar), Quartiergeber (darunter Dr. Franz Waldeck) (**).

Ähnliche Ankündigung in der Linzer Zeitung auf S. 501 (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186505285, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186505285
letzte Änderung: Feb 10, 2024, 22:22