zurück 13.5.1868, Mittwoch ID: 186805135

Bericht Mayfelds (datiert 10. Mai [*]) über die 1. Symphonie in der Linzer Zeitung Nr. 111, S. 459 [°]:
»Anton Bruckners Concert am 9. d.
   D. Linz, 10. Mai. "Symphonie, das Drama der Instrumentalmusik!" das Wort bedeutet sinnig genug "Zusammenklang"; die Griechen benannten so jeden Gesang, namentlich das Zusammensingen in Einklang und in der Octave; die Consonanzen wurden ebenfalls Symphona genannt. Wir wollen diesen Zusammenklang in einem höheren Sinne nehmen, sehen wir doch jeneWeltharmonie, die uns das echte Drama so schlagend vergegenwärtigt, hier bereits angekündigt. Ein Ringen von Instrumenten um die Führung, ein Wogen der Motive auf dem Meere der Fuge, ein Principienkampf der Consonanz und Dissonanz ... und zuletzt eine dem Chaos entsteigende Welt, Licht und Tag nach der dunklen Nacht, nach dem Triumpfgebrülle der bösen Elemente eine Verklärung des Weltgeistes, ein Berg Tabor der Menschheit!
   So Ludwig Eckhart in seiner Vorschule der Aesthetik.
   Herr Anton Bruckner hat mit seiner großen Symphonie in C-Moll die gewöhnliche Form derselben (wie sie Beethoven geschaffen) beibehalten. Vier Sätze reihen sich aneinander, deren Verhältniß zu einander sich nicht in Regeln fassen läßt; eine richtige Symmetrie muß dem Gefühle des Meisters anheim gestellt bleiben. Gewöhnlich gibt der erste Satz die Voraussetzung, der zweite die tragische, der dritte die komische Hälfte des Lebens, der vierte die humoristische Weltversöhnung. Ob Herr Bruckner an diese Anschauung herangetreten, wissen wir nicht; eben so wenig, ob Herr Bruckner seiner Symphonie einen lyrischen, epischen oder dramatischen Charakter verleihen wollte. Uns erschien und erscheint sie dramatisch, da wir mit dieser Symphonie einen Conflikt der Innen- und Außenwelt, ein Hoffen und Verzweifeln, Kämpfen und Leiden durchmachten. Auch die Erlösung, die Versöhnung trat mit dem im Schluße auftretenden C-dur-Accorde heran, wenn vielleicht auch nicht in dem Maße, um zu einem vollkommen beruhigenden und erhebenden Abschlusse zu gelangen. Ob Herr Bruckner von den drei formellen Gesichtspunkten: Instrumentirung, Architektur, Verknüpfung, aus, - Vollkommenes erreicht hat, darüber mag die Meinung getheilt sein; gewiß ist, daß er auch von diesen Gesichtspunkten aus Großes geschaffen, ja, daß gerade hieraus seine große und wirkliche Begabung abzuleiten ist. Ueber die hiedurch erreichten großen Schönheiten des Werkes schwebt freilich durch das Streben nach Effekt auch ein leichter Schatten; aber das hervorragende Talent Bruckners tritt uns auch hier entschieden entgegen und wir wünschen, daß er bald eine seinen Fähigkeiten und musikalischen Kenntnissen entsprechende Stellung in der Residenzstadt Wien finden möchte, um seinem schöpferischen Streben mit Muße obliegen zu können. Inzwischen möge er auf dem betretenen Pfade weiter schreiten, ihm winkt der Lohn. Von dem anwesenden gewählten Publikum wurden alle Sätze namentlich aber der dritte, der auch wirklich der gelungenste ist, und namentlich im Trio unendlich zarte Schönheiten birgt, mit sehr großem Beifalle ausgezeichnet.
   Der hochwürdigste Herr Bischof Franz Josef Rudigier beehrte das Concert mit seiner Gegenwart.
   Zum Schluße haben wir noch der schönen Vorträge des Fräuleins v. S. (Herbstlied von Mendelssohn und Juchhei von Brahms) sowie der Liedertafel "Frohsinn" zu gedenken, welche mit verdientem, großen Beifall aufgenommen wurden.«


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186805135, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186805135
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11