zurück 12.5.1868, Dienstag ID: 186805125

Bericht der Katholischen Blätter über die Aufführung der 1. Symphonie (#):
»Feuilleton.
A. Bruckner's C-moll Symphonie.

   Wer auf dem Gebiete der Musik einige Vertrautheit besitzt, der kennt sie die klingenden, singenden, von Meisterhand hervorgezauberten "Lieder ohne Worte." - Wie nun aus einem großartig angelegten, und nach einer einheitlichen Idee durchgeführten Liederkranze der Dichter die Krone der Kunst, das Epos geschaffen: so mochte - wir können es uns nicht anders erklären aus der reichen Fülle harmonischer Lieder, welche der begleitenden und erklärenden Worte entbehren, die Symphonie als vollendetes Ganzes sich gebildet haben. - Auf diesen, nur von den hervorragendsten Meistern im Reiche der Töne betretenen Boden hat nun auch unser Bruckner festen Schrittes seinen Fuß gesetzt, und mit lauterer Freude und edlem Stolze können wir als Oberösterreicher unserm biederen und bescheidenen Landsmanne zurufen: Der Schritt, der schwierigste Schritt ist gelungen. - Bruckner's C-moll Symphonie darf sich, - wir können für unsere Behauptungen mit Beweisen einstehen - was Originalität in der Auffindung der Motive, Reinheit des Satzes, Eleganz in der Durchführung der Gedanken, glückliche Wahl in der Anwendung der Instrumente anbelangt, ohne Scheu den größten Werken zur Seite stellen, die seit den Tagen L. van Beethovens des Menschen Herz gerührt, entzückt und begeistert haben. - Nach welchem einheitlichen Gedanken mag nun Bruckner diese schöne und große, aber schwierige Aufgabe geklöst haben? Sollte ich mich zum Dollmetsch der Töne machen, welche der C-moll Symphonie Leben und Charakter verleihen, so würde ich sagen: Bruckner tritt als ein Anhänger der Romantik mit Faust's Worten: "Braust nicht die Welt in allen Stürmen fort?" in den Kreis der Zuhörer; ihm ist das Leben der Güter höchstes nicht und darum nicht, weil es bei all' seinem Werthe der Leiden und Freuden mannigfaltigen Wechsel bietet. "Des Menschen Herz ist unruhig, bis daß es Ruhe findet in Gott«: ein Wort des hochberühmten Augustin, welches Bruckner im Eingange seiner C-moll Symphonie in die Sprache herrlichen Tongemäldes übertragen hat. - In diesem hin- und herwogenden Kampfe des Elendes mit dem Glücke möge sich der sterbliche Mensch mit dem Schmerze vertraut machen, dem die Hoffnung als tröstender Engel zur Seite schreitet, damit, wenn der düstere Schmerz die gequälte Menschenbrust durchwühlt, ein Sonnenblick in ein besseres Leben die Sehnsucht, das Harren auf den Herrn, hervorrufe. (Adagio.) - Dieses Sehnen ist um so nothwendiger, je weniger das Leben wahren Trost im Leiden bieten kann. Oder können etwa all' die Freuden des Lebens Mühseligkeit und Elend erträglich machen? O wie schaal, wie nichtig und eitel ist die frohlockende Lust und das vor Uebermuth strahlende Antlitz! Ist doch des Lachenden Freude nichts anders als eine das Elend höhnende Fratze, und über des Hüpfenden Kreuz- und Quersprünge könnte vor Gram der lustigste Schalk erkranken. (Scherzo in G-moll.) - Darum Preis und Heil dem Manne, der in höheren Gütern und edleren Freuden sein Glück sich gründet und unbeirrt vorwärts dringt auf der dornenvollen Bahn des Lebens. (Finale.) - Das dürfte in Worte gekleidet beiläufig der Inhalt der Bruckner'schen C-moll Symphonie sein, deren erster und dritter Theil nach unserm Urtheile als besonders gelungen betrachtet werden können. Ausnehmend schön und charakteristisch gehalten ist der dritte Satz, das Scherzo; es ist das die beredteste Ironie in Tönen auf des Lebens Tand und Spielerei, wie wir sie noch nie deutlicher und treffender durchgeführt - zu Gehör bekommen haben. Ohne in Einzelnheiten uns verlieren zu wollen, wie dies bei einem einmaligen Anhören eines so großartigen Musikwerkes leicht denkbar ist, wollen wir noch hervorheben den brillanten Schlußsatz im ersten Theile sowie die Kraft und den besonnenen, energischen Geist, der sich im ganzen, unserer Ansicht nach vielleicht allzu weit ausgeführten Finale zur Geltung zu bringen versteht. Ueber das Adagio wollen wir weder für noch gegen unsere Stimme erheben; vielleicht haben wir bald wieder das Glück und die Freude, Bruckner's C-moll Symphonie unter seiner umsichtigen und unermüdeten Leitung hören zu können. Wahrhaftig, ein Hochgenuß war es, den Dirigenten an der Spitze eines Orchesters zu sehen, wie es besser eingeübt und mit größerem Verständnisse im Vortrage noch nie in den landschaftlichen Redoutenräumen gesehen und gehört wurde. Es schien uns oft, als wenn die ausübenden Musiker sich untereinander das Versprechen gegeben hätten, trotz aller Schwierigkeiten ihrer Aufgabe das wortgetreu wieder zu geben, was Bruckner aus seinem Leben genommen. Selbstverständlich ernteten Compositeur und Orchester reichlichen Beifall, und in den Reihen der gewählten Zuhörerschaft, welche mit gespannter Aufmerksamkeit dem herrlichen Tonwerke folgte, erblickten wir zu unserer nicht geringen Freude auch den Hochwürdigsten Bischof Franz Josef von Linz.« (#).

Bericht der Linzer Tagespost Nr. 110 auf S. 3 über die 1. Symphonie (*):
»Anton Bruckner's Konzert.
   Das am 9. d. M. um 5 Uhr Nachmittags abgehaltene Konzert unseres Domorganisten und Komponisten Herrn Anton Bruckner war - des prachtvollen Tages und der für ein Konzert nicht gewöhnlichen Stunde wegen - leider schwächer besucht, als es im Interesse des Komponisten zu wünschen gewesen wäre.
   Die Simfonie in C-moll, deren Ausführung um ihrer ungeheuren Schwierigkeiten willen den Mitwirkenden zur vollsten Ehre gereicht, zeugt wieder für die große Begabung Anton Bruckner's, entwickelt große, reiche Schönheiten, die jedoch durch ein zu großes Haschen nach Effekt verdeckt werden. Um die Instrumente feinsinnig zu gebrauchen, um jedes der einzelnen Tonwerkzeuge in seiner Sprache reden lassen zu können, muß und kann dem Instrumente eben nur das zugemuthet werden, was es zu leisten im Stande ist. Herr Bruckner hat wahrscheinlich selbst Klangeffekte anders gefunden, als sie ihm beim Niederschreiben in der Partitur geklungen. Dies wird sich bei der Schöpfung eines zweiten, ähnlichen Werkes klären, da Herr Bruckner aus der Aufführung dieses seines Erstlingswerkes im Simfonie-Style gewiß reichlichen Nutzen gezogen haben wird. Das Publikum nahm das Werk, namentlich das Scherzo, welches auch der hervorragendste Satz ist, mit lautem Beifalle auf. Dem zunächst steht der erste Satz, nämlich das Hauptthema desselben, welches reizend erfunden ist. Im Adagio und im letzten Satze ergreift den Zuhörer eine Unruhe, die nirgends, selbst nicht mit dem zum Schluße prächtig eintretenden C-Dur-Akorde, eine befriedigende Lösung erhält.
   Herr Bruckner wurde durch großen Beifall zu neuem Schaffen aufgemuntert, in welchen Beifall wir freudigst einstimmen.
   Die unter der Leitung des Herrn Chormeisters Bruckner von der Liedertafel "Frohsinn" mit gewohnter Präzision und Nuancirung vorgetragenen Chöre und die von Frl. v. S..... [Sachse] mit schönem Vortrag empfindungsvoll gesungenen Lieder "Herbstlied", von Mendelssohn, und "Juchhei", von Brahms, erfreuten sich gleichfalls großen Beifalls und dankender Anerkennung in Hervorrufen des geschätzten Fräuleins.« [keine Signatur] (*).

Widmungsdatum des »Frohsinn«-Wahlspruchs »Das Frauenherz, die Mannesbrust« [WAB 95/1] (Text Karl Kerschbaum) (**).

Falls Bruckners Angabe »neunter Tag vor Christi Himmelfahrt« (34/444) korrekt überliefert ist, fand das Treffen mit Herbeck im Hotel Krebs und die Fahrt nach St. Florian am 12.5.1868 und nicht am 24.5.1868 statt. Herbeck bot Bruckner eine Professur am Wiener Konservatorium an (***).

Lobende Kritik der »Christlichen Kunstblätter« über die Leistungen des »Frohsinn« am 9.5.1868 und 10.5.1868 (°):
» - (Gründungsfest der Liedertafel "Frohsinn.") Hatten wir schon beim Bruckner'schen Concert am 9. Mai d. Gelegenheit, die ganz vortrefflichen Leistungen dieses Gesangsvereines besonders in dem Schubert'schen Chore: "An die Entfernte" gebührend würdigen zu können, so müssen wir dem "Frohsinn" unsere dankbare Anerkennung und unser ungetheiltes Lob dafür aussprechen, daß er uns am 10. Mai d. zur Feier seiner Gründung eine gemischte Vokalmesse von Lotti unter der tüchtigen Leitung seines Chormeisters Herrn A. Bruckner, zur Aufführung brachte. Die zwei Einlagen: Graduale und Offertorium machen dem Chormeister des "Frohsinn" alle Ehre.« (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186805125, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186805125
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11