Das "Organ für christliche Kunst | Organ des christlichen Kunstvereins für Deutschland." XIX. Jahrgang, Nr. 15 (Köln, 1. August 1869) berichtet auf S. 172f von der neuen Orgel in Nancy, signiert "H. O.":
Die neue Orgel in der Kirche von St. Epvre in Nancy.
Am 27. April a. c. fand die Reception dieses bedeutenden, circa 70,000 Frcs. kostenden Werkes, unter Assistenz der nachstehend genannten Herren Statt: Se. Hochw. Herr P. J. Devroye, Domherr aus Lüttich, Präsident der Commission, Herr Chatelain, Diöcesan-Architekt, Herr Th. Stern, Organist aus Strassburg, Herr Forthomme, Professor der Chemie aus Nancy, Hochw. Herr Neyrat, Domcapellmeister aus Lyon, Hochw. Herr Pater L. Girod, Capellmeister und Organist am Jesuitencollegium in Namur, Herr Chautard, Prof. der Physik aus Nancy, Herr A. Bruckner, Hoforganist Sr. Maj. des Kaisers von Oesterreich aus Wien, Herr E. Duval, Organist aus Rheims, Herr E. Henry, Domcapellmeister aus Rennes, Hochw. Herr J. Ply, Domcapellmeister aus Soissons, Herr E. Barby, Hochw. Herr V. Wagner, Pfarrer in Niederweiler, Herr P. Morey, Architekt aus Nancy, Herr H. Oberhoffer aus Luxemburg und Herr R. de Vilbac, Organist von St. Eugène aus Paris.
An den beiden darauf folgenden Tagen fanden grosse Orgelconcerte auf dem neuen Werke Statt, und es spielten am ersten Tage die Herren de Vilbac, Stern, Pater Girod, Bruckner und Oberhoffer.
Da es für die Leser unserer Zeitschrift gewiss nicht ohne Interesse sein wird, diese schöne Orgel, so wie die neuere französische Fabrication, die von der deutschen wesentlich abweicht, näher kennen zu lernen, so theilen wir in Nachstehendem eine eingehende Beschreibung derselben mit.
Die Orgel hat 3 Claviaturen mit je 56 Tasten, ein Pedal von zwei Octaven, im Ganzen 44 Register, und 15 zur Koppelung dienende Pedalhebel.
Die 44 Register sind folgender Maassen vertheilt:
Positiv.
Bourdon 16 Fuss, Principal 8 Fuss, Salcional 8 Fuss, Viola di gamba 8 Fuss, Flûte harmonique 4 Fuss, Praestant 4 Fuss, Glockenspiel (Sexquialter) [sic] 2 Fuss (2 Pfeifen). Combinationsregister: Trompet 8 Fuss und Clarinett 8 Fuss.
Hauptmanual.
Principal 16 Fuss, Bourdon 16 Fuss, Principal 8 Fuss, Bourdon 8 Fuss, Flûte harmonique 8 Fuss (überblasend), Gamba 8 Fuss, Dulciana 8 Fuss, Flûte harmonique 4 Fuss, Octave 4 Fuss, .Quinte 2 2/3 Fuss (der Mixtur entnommen), Combinationsregister: Mixtur 4 Fuss (4fach), Comet 8 Fuss (4fach), Bombarde 16 Fuss, Trompet 8 Fuss, Clairon 4 Fuss.
Expressiv-Manual.
Flûte harmonique 8 Fuss, Voix céleste 8 Fuss, Gamba 8 Fuss, Bourdon 8 Fuss, Flûte harmonique 4 Fuss, Combinationsregister: Flageolet 2 Fuss, Fagott 16 Fuss, Hoboe 8 Fuss, Trompet harmonique 8 Fuss, Vox humana 8 Fuss.
Pedal.
Untersatz 32 Fuss, Principal 16 Fuss, Subbass 16 Fuss, Octave 8 Fuss, Violoncello 8 Fuss, Flauto 4 Fuss. Combinationsregister: Bombarde 16 Fuss, Trompet 8 Fuss, Clairon 4 Fuss.
Koppelpedale.
[…]
Obgleich diese Orgel nur 44 klingende Stimmen hat, so gewährt sie jedoch dem Organisten dieselbe reiche Abwechslung und hat die gleiche Kraft, wie eine Orgel von 60 bis 66 Registern nach altem Systeme. Weil alle überflüssigen Verdoppelungen einzelner Register, namentlich in den gemischten Stimmen und den grösseren Bassregistern vermieden sind, so wird dadurch eine reinere Harmonie und ein richtigeres Verhältniss zwischen Manual und Pedal erzielt, d. h. die Manuale werden durch die Stärke des Pedals nicht erdrückt.
Durch die Anwendung der doppelten Schleifen unter den Combinationsregistem kann ein und dasselbe Register auf zwei verschiedenen Manualen, resp. dem Pedale gespielt werden. Das bei sämmtlichen Manualen und dem Pedal angewandte System des pneumatischen Hebels gewährt eine sich stets gleich bleibende und angenehme, leichte Spielart.
Auch das Gebläse hat eine nicht unwichtige Vervollkommnung durch die Erzeugung einer verschiedenen Windstärke und ihrer Verwendung für die verschiedenen Register, für die pneumatische Maschine und das Regierwerk erfahren. Es liegen nämlich je zwei Faltenbälge mit continuirlich einblasenden Schöpfern übereinander, welche durch die beiden Calcanten1) [Fußnote: "1) Nur beim Spiele des vollen Werkes sind zwei Calcanten nothwendig."] gleichzeitig in Bewegung gesetzt werden, d. h. jeder Calcant erzeugt gleichzeitig Wind von verschiedener Stärke. Aus diesen beiden, resp. vier Faltenbälgen strömt dann der Wind in die unter den Laden liegenden Magazinbälge und die Regulatoren. Nun ist es eine bekannte Sache, dass die Zungenregister und die gemischten Stimmen eine grössere Windmasse verbrauchen und einen stärkeren Wind zur prompten Aussprache nöthig haben, als die Labialgrundstimmen. Diese Register stehen desshalb hier auf einer eigenen Lade, und wird denselben der. stärkere Wind zugeführt. Den 16-, 8-, 4- und 2füssigen Labialstimmen ist eine Windstärke von 0m 10, den Zungenregistern und gemischten Stimmen des Hauptmanuals, des Pedals und des Positivs eine Windstärke von 0m 12 und der pneumatischen Maschine eine solche von 0m 14 zugetheilt. H. O."
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186908015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186908015letzte Änderung: Dez 20, 2024, 23:23