Im Heft Nr. 6 der "Urania" (Band 28) erscheint auf S. 87ff die Fortsetzung von Theodor Manns (Berlin) mehrjähriger Artikelserie:
" Aus meiner Reisemappe.
(Fortsetzung.)
Von meinem Aufenthalte in Wien in der Pfingstwoche des vergangenen Jahres halte ich es für meine Pflicht, den verehrten Lesern der "Urania", die mich ja schon als einen Collegen, der gern und viel reist, aus diesem Blatte kennen gelernt haben, Einiges mitzutheilen, was sie interessiren wird und was für dieses Blatt paßt, wenngleich ich diese Reise in der Euterpe, von der ich annehme, daß sie nicht viele Leser der "Urania" halten, umständlich erzählt habe. [siehe die Anmerkung]
Zunächst berichte ich von dem Orgel=Concert, daß [sic] der Herr Professor Bruckner (siehe "Urania" Nr. 6, Seite 109, Jahrgang 1869 [Juli 1969]) am Freitag, den 10. Juni, Nachmittags 4 Uhr, in der Josephstädte Piaristenkirche gab. Ich kam etwas spät, denn beim Eintritt in die Kirche, von deren majestätischem Bau ich entzückt war, fand ich dieselbe schon gefüllt mit Zuhörern, so daß es mir unmöglich war, noch einen Sitzplatz zu erhalten, sondern mit einem Stehplatz fürlieb nehmen mußte. Wir Alle waren ohne Programm und wußten also nicht, was wir zu hören bekommen würden, deshalb suchte ich mir den Aufgang zum Orgelchore auf, um mich beim Concertgeber selber danach zu erkundigen, dieser aber war von so vielen neugierigen Bewunderern umgeben, die mich nicht zu ihm heran ließen, weshalb ich es für's Beste hielt, ihn schriftlich zu bitten, mir mitzutheilen, was er gespielt habe. Hierauf antwortete er mir folgendermaßen:
"Hochverehrtester Herr College! Eben im Momente von meinen Ferien zurückgekehrt, erhalte ich Ihr sehr erfreuliches, liebenswürdiges Schreiben. Da dasselbe aber schon vom 8. September datirt ist, so dürfte bei Ihnen wirklich die Geduld erschöpft sein in Folge so langen Zuwartens. Bitte sehr um Pardon! Außer der 5stimmigen Cis-moll-Fuge von Sebastian Bach habe ich Alles improvisirt und daher keine Note aufgeschrieben. Zuerst versuchte ich aus dem Thema der Bach'schen Fuge eine Introduction zu improvisiren, dann kam die Fuge, dann das Andante mit sanften Stimmen im freien Style, dann improvisirte ich auf Ansuchen vieler Lehrer noch zwei Sätze, den ersten im freien Style, den letzteren contrapunktisch, thematisch, à la Fuge. Das war Alles. Ich bereite mich meistens nie vor, sondern lasse mir die Thema aufgeben und das hat mir auch voriges Jahr in Nancy beim Orgel=Congresse den Sieg bereitet, wie auch bei den Concerten in Paris, namentlich in Notre dame" etc. etc.
Das erste Stück spielte er, wie alle, meisterhaft und auswendig, leider that zum Schluß der Calcant seine Pflicht nicht, sondern ließ den Wind einige Male ausgehen, was eine große Störung verursachte. Das zweite Stück war eine Art Pastorale und hatte besonders den Zweck, die verschiedenen sehr schönen Klangfarben der einzelnen Register und Claviere den Zuhörern vorzuführen. Der Concertgeber spielte die Sachen correct und mit gutem Vortrage und glaube ich bestimmt, daß die Zuhörer aufmerksamer gewesen wären, wenn sie gewußt hätten, was gespielt wurde. Wir norddeutschen Collegen hatten mehr erwartet, d. h. was Mannigfachheit des Programms in Bezug auf Componisten anbelangt, da wir in dieser Beziehung verwöhnt sein mögen, die süddeutschen Collegen aber verließen höchst befriedigt die Kirche. Das Orgelwerk selbst [... über das Instrument, seine Disposition und technische Ausstattung ...]. Nach dem Concert eilte ich zum Theater an der Wien, wo eine Festvorstellung für die Theilnehmer der Lehrerversammlung unter der Direktion von Geistinger und Steiner und unter gefälliger Mitwirkung von Mitgliedern der beiden kaiserlichen Hoftheater veranstaltet war. [... Vorhang noch aus Mozarts Zeiten ...] Ueber den Besuch der Kaisergräber und der [sic] der musikalischen Klassiker in einer Fortsetzung. Berlin, am 5. November 1870. Th. Mann. (*).
Auf Seite 96 werden Bruckners Vorbereitungen für den Orgelwettbewerb in London aufs Korn genommen [vermutlich vom Herausgeber, A. W. Gottschalg]:
" Briefwechsel.
[...] – Herrn V. M. in Wien: Ihre Enthüllungen über B. sind höchlich interessant und haben mich sehr überrascht! Der von Ihnen citirte Passus: "Ich kümmer 's mich nicht viel um die Register; ich spiel' halt gewöhnlich so, wie 's (nämlich sie, die Register) gerad' heraußen sind" - giebt allerhand zu denken. H. Grobgedackt [Oswald Lorenz] wird jedenfalls von "starkem Tabak" sprechen. Weiß denn der gute Mann nichts Besseres, als ein Arrangement von S. Bach, das A-moll=Concert zu spielen?! Daß aber H. [Hanslick gemeint?] sich zu einem Partisan des Genannten hergiebt, ist mir schier unbegreiflich. Wer war der zweite Candidat nach London? Im Uebrigen herzlichen Dank! – [...]" [vgl. dazu "September 1871"] (**).
[...] – Herrn V. M. in Wien: Ihre Enthüllungen über B. sind höchlich interessant und haben mich sehr überrascht! Der von Ihnen citirte Passus: "Ich kümmer 's mich nicht viel um die Register; ich spiel' halt gewöhnlich so, wie 's (nämlich sie, die Register) gerad' heraußen sind" - giebt allerhand zu denken. H. Grobgedackt [Oswald Lorenz] wird jedenfalls von "starkem Tabak" sprechen. Weiß denn der gute Mann nichts Besseres, als ein Arrangement von S. Bach, das A-moll=Concert zu spielen?! Daß aber H. [Hanslick gemeint?] sich zu einem Partisan des Genannten hergiebt, ist mir schier unbegreiflich. Wer war der zweite Candidat nach London? Im Uebrigen herzlichen Dank! – [...]" [vgl. dazu "September 1871"] (**).
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187106005, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187106005letzte Änderung: Nov 17, 2024, 9:09