zurück 12.10.1871, Donnerstag ID: 187110125

[den nahezu identischen Artikel in der Linzer Tages-Post siehe »13.10.1871]

Artikel in der Morgenpost Nr. 282 auf S. 4: Bruckner sei denunziert worden; Schulrat Becker habe ihm die Entlassung mitgeteilt:
   » * Eine eigenthümliche, schulräthliche Maßregelung, welche die Aera Jireczek um ein Räthselhaftes vermehrt, macht jetzt - so schreibt man uns - in musikalischen Kreisen viel von sich sprechen. Die Sache ist folgende: Vor Kurzem kehrte der am Wiener Pädagogium als Professor des Orgelspiels angestellte k. k. Hoforganist, Herr Bruckner, aus London, wo er sich einige Zeit zu Kunstzwecken aufhielt, hieher zurück und war sich keines Argen bewußt, als er sich eines Tages mittelst Zitation vor dem Schulrath des Pädagogiums beschieden sah. Hier wurde er vom Schulrath Becker mit vorwurfsvoller und barscher Rede empfangen und ihm eröffnet, daß er seiner Stelle enthoben sei. Nech dem Grunde dieser plötzlichen Entlassung fragend, erhielt Herr Bruckner nach längerem Drängen die Aufklärung, daß eine anonyme Anzeige ihn beschuldigt habe, daß er seinen Schülerinnen den Hof mache, einzelne von ihnen vor den anderen begünstige etc. Prof. Bruckner wagte es in seiner bekannten Bescheiden= und Schüchternheit nicht, auf diese Insinuation die gebührende Antwort zu geben und nahm die Entlassung an, obschon es sich hiebei buchstäblich um seine Existenz handelte. Ausgezeichnet mit den höchsten Preisen auf mehreren Weltausstellungen für seine Verdienste um die Orgelmusik, folgte er der Berufung an das hiesige Pädagogium, bezog hier für seine Professur einen Jahresgehalt von 1200 fl. und als vierter k. k. Hoforganist einen Zuschuß von 200 fl. Dieser Subsidien sieht er sich nun beraubt. In der Angst um seine Zukunft wandte er sich an den König von Baiern, um für sich eine passende Stellung an einem Münchener Institute zu erbitten, und erwartet jetzt von der königlichen Antwort sein Heil oder Weh'. Jene anonyme Denunziation aber, welche den deutschen Prof. Bruckner in die Lage setzte, einem czechischen Nachfolger Platz zu machen, entspricht nur insofern der Wahrheit, als der Herr Professor ein Mal eine Schülerin mit „Liebes Kind” angesprochen und hinzugesetzt, daß er mit ihren Leistungen sehr zufrieden sei. So wird uns der Fall von völlig unbefangener Seite dargestellt. Eine Bürschaft für die volle Richtigkeit können wir trotzdem nicht übernehmen. Die offizielle Aufklärung wird indessen wohl nicht lange auf sich warten lassen.« (*).


Zeugnis Hellmesberger über Bruckners Erfolge als Lehrer am Konservatorium (Unterricht, Prüfungen, Disziplin):
     "Daß der k. k. Hoforganist Herr Bruckner am hiesigen Conservatorium als Professor für Generalbaß - Harmonielehre u praktisches Orgelspiel in ganz vortrefflicher Weise Unterricht ertheilt, durch ausgezeichnete Prüfungs-Resultate sich als eine Lehrerkraft [sic] gediegenster Art erweist - sowie dß der geschätzte Künstler in den von ihm geführten Classen tadellose Disciplin erhält, bestätige hiemit
Wien 12. Okt. 1871.
Hellmesberger,
Artist. Director d. Conservatorium." (**).
 


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187110125, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187110125
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11