In Heft 2 der "Urania" (29. Jahrgang) erscheint auf S. 20ff ein Bericht über die Orgel in London und über Bruckners angeblichen Sieg im Orgelwettbewerb:
" Die Riesenorgel der Alberthalle in London.
Eine der neuesten und großartigsten Bauten Londons ist die Alberthalle, in deren kolossalen Räumlichkeiten und Sälen zum Theil die verschiedenartigsten und wundervollsten Gegenstände der nun geschlossenen internationalen Kunst= und Industrie=Ausstellung aufgestellt waren. [.... Beschreibung des Saales und der Orgel (technische Ausrüstung, Disposition (vier 32'-Füßer im Pedal) ... Seite 22:]. –
Dieses Riesenwerk einer Orgel, welches nun für alle Zeiten eine Zierde Londons und speziell der Alberthalle sein wird, wurde während der Ausstellungs=Monate eingeweiht. Die Kommission wollte den Londonern, sowie den Besuchern der Ausstellung Gelegenheit geben, auf dieser Orgel Organisten verschiedener Länder zu hören und erließ daher, unter Festsetzung eines entsprechenden Honorars, Einladungen, welche gewöhnlich durch die Handelskammer des betreffenden Landes vermittelt wurden. So erschienen denn zu verschiedenen Zeiten die verschiedenen Organisten, unter welchen wir nennen die Herren: Saint=Saens aus Paris, Tod aus Stuttgart, Bruckner aus Wien, Lux aus Mainz, ein Norweger, ein Ungar (deren Namen mir entfallen sind). Jeder derselben hatte nach Uebereinkunft 6 Concerte von je 1 Stunde Dauer zu spielen.
Ich bedaure, hier die Gelegenheit ergreifen zu müssen, um eine weitverbreitete Nachricht – das Auftreten des Herrn Dormorganisten [sic] Bruckner betreffend – zu dementiren.
Viele Blätter brachten in letzter Zeit die Mittheilung, "daß bei einem Organistenkongreß, der in London in der Alberthalle am 6. und 8. August stattgefunden habe, Herr Bruckner aus Wien nicht blos alle Concurrenten besiegt, sondern auch den Preis der Königin von England erhalten habe."
Nun ist das Letztere einfach unmöglich, denn es wurde weder von der Königin, noch von der Ausstellungskommission ein Preis ausgeworfen, sondern alle der eingeladenen Organisten erhielten ganz dieselbe Summe als Honorar, welche Herr Bruckner als "Preis" angesehen haben mag. Eine Concurrenz zwischen Bruckner und einem andern Organisten hat nie stattgefunden, denn es konnte kein Organist mit auch nur einem anderen concurriren, da eben jeder 6 Concerte zu spielen hatte und alsdann für seine Person fertig war. Uebrigens konnte ja kein Vergleich der Leistungen Bruckners mit denen seiner Collegen angestellt werden, da ja nach Bruckner noch etliche Organisten zum Spielen kamen. Oder sollte Herr Bruckner den wöchentlich etwa 2 – 3 Mal spielenden Organisten der Alberthalle, Mr. Best, welcher als bester Organist Englands seinen Zuhörern Ouverturen (zu Wilhelm Tell, Jubelouvertüre von Weber), Märsche, Variationen über englische Lieder, freilich zuweilen auch – es sei der Wahrheit zu Ehren gesagt – eine Mendelssohn'sche Sonate oder eine Bach'sche Fuge zu kosten giebt, besiegt haben? Dieser Sieg möge Herrn Bruckner verbleiben, wir aber wollen zunächst die Wahrheit aufrecht erhalten und erklären, daß im Laufe dieses Sommers in London weder ein wirklicher Organistencongreß stattgefunden, noch aber nirgend ein Preis von der Königin von England an einen Organisten verabreicht wurde.
Ein Freund der Wahrheit.".
Artikel von Franz Xaver Witt in den Fliegenden Blättern für katholische Kirchenmusik, siehe "15.2.1872.
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187202005, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187202005letzte Änderung: Dez 20, 2024, 20:20