zurück April 1872 ID: 187204005

Artikel (über das Orgelspiel in London [August 1871] und über Zeitungsstreitigkeiten in Haberts Zeitschrift für katholische Kirchenmusik, 5. Jahrgang, Nr. 4 auf S. 31f:
»                              Berichtigung.

     Die Fl. Bl. Witt's [Fliegende Blätter für katholische Kirchenmusik, Februar 1872] bringen über Professor Bruckner aus Wien eine Notiz nach Leipziger Blättern, in welcher von Bruckner-Schwindel und Bruckner-Reklame zu lesen ist, und schliesslich eine sehr ehrenrührige Nachricht mitgetheilt wird, trotzdem die Red. versichert, sie halte Hrn. Br. für unschuldig. Wir ersuchen hiemit die Red. jener Leipziger Blätter und die Red. der Fl. B. um Aufnahme folgender Thatsachen zur Berichtigung:
     Die Ausstellungskommission in London hatte sich an die Handelskammern verschiedener Länder gewendet, diese möchten tüchtige Organisten nach London senden, welche während der Ausstellung auf der grossen Orgel der Alberthalle concertiren sollten. Es meldeten sich drei Organisten, welche hier in Wien zur Probe spielten, darunter Hr. Prof. Bruckner, und dieser wurde von den Fachmännern der Wiener-Handelskammer empfohlen, und in Folge dessen von derselben nach London geschickt. – Prof. Bruckner hatte in London, wie jeder andere Organist, sechs Concerte in der Alberthall zu geben. Er spielte ebenfalls Bach, Mendelssohn u. s. w. und improvisirte über verschiedene Themen. Nun geschah es dort, wie in Nancy und wie überall, wo Bruckner sich hören liess, dass er das Publikum durch sein Spiel entzückte, und dass in den Zeitungen sogar nach mehreren Monaten noch mit der grössten Anerkennung von ihm geschrieben wurde. Wie man da von einem Schwindel oder von Reklame sprechen kann ist unbegreiflich; begreiflich aber, dass Bruckner kleine Seelen hier wie anderwärts in Aufregung brachte, weil ihnen sein Erfolg ein Dorn im Auge war. Ein Künstler, wie Bruckner, hat nicht Ursache, seine Kollegen zu beneiden, sondern es freut ihn, wenn auch ein Anderer Erfolge erringt; er hat auch nicht nöthig über sich selbst zu schreiben, das kann er solchen überlassen, die klein sind, aber gerne gross sein möchten, und darum ihre eigenen geringen Leistungen als Wunderwerke ausposaunen. Unrichtig ist die Mittheilung, die auch wir nach Wiener Blättern brachten, dass Bruckner den von der Königin von England ausgesetzten Preis erworben hat. Es wurde kein Preis ausgesetzt, und also keiner erworben und vertheilt.
     Das von Witt mitgetheilte Urtheil Liszt's würde hier eine Geltung haben, wenn Bruckner einmal vor demselben gespielt hätte; da dieses nie geschah [vgl. aber 13.12.1871!], so hat dasselbe doch nur einen beschränkten Werth. – Auch die Urtheile der Leipziger Blätter über den Virtuosen Tod scheinen unzuverlässig und partheiisch, weil sie, indem sie diesen erheben, einem andern Künstler einen Fusstritt versetzen. Wir wollen an Hrn. Tod's Erfolg nicht im Geringsten zweifeln; wir konstatiren nur, dass ein Urtheil in unsern Augen partheiisch scheint, wenn es, wie bemerkt, keine noble Gesinnung zeigt.
     Bruckner's Erfolg kam seinen Gegnern wahrscheinlich sehr ungelegen; dafür aber erfreute sie eine Mittheilung der L. T. Post [Linzer Tagespost vom 13.10.1871 gemeint?], nach welcher Hr. Prof. Bruckner wegen einer unsittlichen Handlung, verübt in der Lehranstalt zu St. Anna in Wien, seiner Stellen als Prof. an derselben und an dem Conservatorium enthoben worden wäre etc. – Die Mittheilung ist vom Anfang bis zum Ende erlogen. Hier in Wien erhielt man erst aus jenem Provinizialblatte Kenntnis von derselben, worauf der Direktor der Anstalt Hrn. Bruckner ein Zeugniss ausstellte, in welchem jene Angriffe als unbegründet dargestellt wurden, und welches in den öffentlichen Wiener Blättern veröffentlicht wurde. Warum nahmen jene Leipziger Blätter von diesem Zeugnisse keine Notiz? Und wie kommt es, dass Hr. Witt, trotzdem er die ehrenrührige Notiz nicht glaubt, dennoch seinen Lesern mittheilt? Würde eine solche Handlung sich nicht selbst verdammen, so würden wir gar manches zu bemerken haben; so aber ist es unnöthig ein Wort beizufügen.« [keine Signatur]


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187204005, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187204005
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11