zurück 20.7.1872, Samstag ID: 187207205

Die Wiener Kirchenzeitung Nr. 29 äußert sich auf S. 8 kritisch über die f-Moll-Messe:
     " *** Wir haben schon oftmals auf die Entartung unserer heutigen Kirchenmusik hingewiesen, und es scheint namentlich die Augustinerkirche unter ihrem jetzigen, allerdings musikalisch sehr tüchtigen, aber sehr "modernen" Chor=Director ein Uebriges zu bieten: Wir citiren zum Beweise dessen einfach ein Referat der "Morgenpost" vom 19. Juni, welches unter Anderem sagt: "Professor Bruckner, der glückliche Gewinner der goldenen Medaille der vorjährigen Orgel=Concerte in London, der ausgezeichnete Contrapunktist und Improvisator, hatte sich bisher mit Orchester=Compositionen größeren Styles nicht an die Oeffentlichkeit gewagt. Vorgestern war die Augustinerkirche der Schauplatz seines ersten Wagnisses auch nach dieser Richtung. Er brachte seine D-moll-Messe [sic] - das Werk mehrerer Jahre - vor einem dichtgedrängten Publikum unter seiner eigenen Leitung, mit einem vorzüglichen Orchester, auf die Bretter - der Kirche. Jedermann mußte sich gestehene [sic] daß hier ein nicht gewöhnliches Talent sich offenbare, daß Herr Bruckner mit einem Worte seiner Aufgabe vollkommen gewachsen sei. Die Messe selbst dürfte weniger einer Kirchen=Messe als einer Concert=Messe entsprechen." - Wenn man schon "Concert=Messen" aufführt, so begreifen wir es, wie man so frivol von den "Brettern der Kirche" reden kann; aber - wir bedauern das, denn auf solche Art ist die Kirche zu gut, und die beste Musik - zu schlecht."
[keine Signatur - verantwortlicher Redakteur: Albert Wiesinger]


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187207205, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187207205
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11