Dr. Paumgartners [nicht Puchsteins (#)] Kritik über die 6. Symphonie erscheint in der Wiener Zeitung Nr. 36 auf S. 5:
»Musik.
[... Inhaltsangabe ...]
Der Faschingsjubel ist verrauscht, die ernste, beschauliche Fastenzeit hat den leichtfertigen Bruder Carneval abgelöst, und die Concertgeber sind damit in ihr volles Recht getreten. Nicht immer jedoch dünkt es uns ein Gewinn,daß die heitere Tanzweise dem strengen Style weichen mußte, und in manchem seriösen Concerte sehnten wir uns bereits aus tiefstem Herzensgrunde nach den holden Zauberklängen der Straußschen Muse zurück. [... über konzertierende Pianistinnen ... die Konzerte der Brüder Schalk und von Gustav Walter...]
Eines der befremdendsten Ereignisse war das letzthin an uns vorübergegangene philharmonische Concert. Nachdem dasselbe mit der Beeethoven'schen Leonore=Ouverture Nr. 2 begonnen und mit zwei Sätzen aus einer Bruckner'schen Symphonie seine Fortsetzung gefunden hatte, wurde dem Publicum das maßlos langweilige Eckert'sche Violoncellconcert das dritte Nummer aufgebürdet und - nicht genug der schweren Prüfung - zum Schlusse der Kelch des Leidens durch eine todtenblasse Spohr'sche Symphonie übervoll gemacht. Während der Aufführung der Spohrschen Symphonie artete denn auch der Rückzug des Publicums in die wildeste Flucht aus.
[... über Beethoven ...] Die Ouverture klang nicht machtvoll, nicht überzeugend genug.
Hingegen wurden die Bruckner'schen Symphoniesätze mit großer Liebe und Sorgfalt dirigirt und gespielt. Dessenungeachtet war es eine Unrichtigkeit, nicht die ganze Bruckner'sche Symphonie zur Aufführung zu bringen. Die Symphonie ist ein organisches Ganzes, aus welcher niemals ohne Lebensgefahr für den Organismus einzelne Glieder gerissen werden dürfen. Mancher Satz, der an sich befremdend wirkt, erlangt sofort seine wahre Bedeutung so wie er im Zusammenhange mit den übrigen Sätzen gehört wird. Der "Torso" kann bei den glühendsten Verehrern antiker Kunst doch niemals den Schmerz über die Verstümmelung und die Sehnsucht nach der vollständigen Gestalt übertäuben. Man denke sich das Scherzo aus der "Neunten" als einzelne Concertnummer! Gewiß hätte das Publicum nichts verloren, wenn der ganze Spohr von dem Programme gestrichen und anstatt dessen der ganze Bruckner hinaufgesetzt worden wäre. Das "Adagio", welches letzthin als erster der beiden Symphoniesätze gespielt wurde, ist ein Stück voll weihevollster Empfindung und rührendster Innigkeit. Von großer Schönheit ist das zuerst in E-dur und späterhin in F-dur (der Grundtonart) in den Celli auftretende eigentliche Gesangsmotiv des Adagio. Als zweiter Satz wurde das "Scherzo" gespielt, ein Stück voll genialer Züge, doch - wir dürfen es nicht verhehlen - vielfach befremdend. Der merkwürdige Schluß des "Scherzo" fand wohl auch die begeistertsten Freunde und Schüler des Compositeurs in einiger Verlegenheit. Immerhin jedoch ist Bruckner eine hochbedeutsame, das Durchschnittsmaß weit überragende künstlerische Persönlichkeit, deren Schöpfungen jederzeit das ungetheilte Interesse aller wirklichen Kunstfreunde für sich haben werden.
Auf die interessante Bizarrerie des Bruckner'schen Scherzo kam die flache Trivialität des Eckert'schen Violoncell=Concertes. [... "Der schöne Ton des Cellisten ging rettungslos unter in dem Gassenkothe der Composition" ...]
Ueber die Spohr'sche Symphonie wollen wir kein Wort verlieren. Sie ist durch und durch veraltet, und derartige Galvanisirungen wie neulich läßt man sich hier einfach nicht gefallen. Man liebt in Wien überaus alte, aber nicht veraltete Musik.
[... über ein Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde am 13.2.1883 ...] Doch mitten in den frischen Uebermuth des schottischen Jagdliedes drang eine erschütternde Trauerkunde in den Saal: Richard Wagner ist todt. Mit diesem Laute voll schneidenden Wehs mußte der Abend schließen!
Dr. Hans Paumgartner.«
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188302155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188302155letzte Änderung: Mai 13, 2024, 13:13