zurück 14.3.1885, Samstag ID: 188503145

[Schon am 13.3.1885 abends] Bruckner fährt von München nach Wien zurück (*).

Kritik Ostinis über die 7. Symphonie in der »Süddeutschen Presse und Münchener Nachrichten« Nr. 62 auf S. 2 (**), signiert mit dem musikalischen Vorzeichen „“:
„     (Zweites Akademie=Konzert.) Wenn wir heute über das zweite Abonnementkonzert der Musikalischen Akademie berichten sollen, so geschieht es mit der Empfindung, daß hier ein großes, merkwürdiges Ereigniß stattgefunden hat, ein Ereigniß, unter dessen Bann wir noch stehen, und das, so mächtig und tief es wirkte, sich doch der Schilderung durch Worte entzieht. Man müßte in Tönen über die Sprache der Töne reden können, ebenso wie sich das tiefste Empfinden der Menschenseele nur nachempfinden, nicht schildern läßt. Ebenso wie uns mochte es den meisten der zahlreich versammelten Zuhörer ergangen sein: Daß sie von der Existenz eines Komponisten Bruckner bis vor Kurzem nicht im Mindesten unterrichtet, sich bei der angekündigten Symphonie auf das Erstlingswerk eines keimenden Talentes gefaßt gemacht hatten; und nachdem jene so frisch und lebendig empfundenen Melodien durch den Saal gebraust waren, als ein stürmischer, begeisterter Beifall sich bis zur Ovation steigerte und immer und immer wieder den Komponisten hervorrief, da mochte wohl der größte Theil des Publikums höchlich erstaunt sein, statt einer jugendlich flotten Künstlererscheinung einen einfachen, älteren Mann auf dem Podium zu sehen, der mit blitzenden Augen und mit glückstrahlendem Gesichte den stürmischen Dank in Empfang nahm, um ihn bescheiden und dankbar an unser herrliches Orchester und seinen trefflichen Dirigenten zu übertragen. Und welche Fülle von Empfindung, von Geist, von Leben ist in dieser Symphonie enthalten! Da ich nichts gemacht, da ist alles empfunden, in tiefster, musikalischer Seele empfunden. Keine spärlichen Gedanken in kunstgerechten Wendungen verarbeitet, gedreht und gewendet, um länger vorzuhalten; keine kleinen Sentimentalitäten in breite Formen gegossen. Keine Lieder ohne Worte zu einem Adagio, keine Elfentänze zu einem scherzo aufgebauscht. Schon die Einleitung wird durch ein großartig angelegtes, ganz ungewöhnliches Motiv der Celli und Bässe gebildet, welches bald und durch vielerlei Anderes abgelöst wird, um in vollendeter kontrapunktischer Durchführung doch immer wieder durchzudringen. In grandioser, abgeklärter Ruhe, in großen, breiten Zügen schreitet nun das Adagio, der zweite Satz, einher; in der darin enthaltenen höchsten Ergriffenheit, in dem gewaltigen Ringen, und in der geradezu klassischen Stimmführung kann diese Komposition nur mit Beethovens herrlichsten Werken verglichen werden; dieser eine, geradezu imponirende Satz würde hinreichen, um den Komponisten unter die Bedeutendsten, unter die Unvergänglichen einzureihen. Es folgt nun ein originell und ziemlich derb auftretendes scherzo; keine zimperlichen Backfischscherzchen sind das, sondern ächter, kerniger, göttlicher Humor. Der Schlußsatz krönt in würdiger und glänzender Weise das Ganze und hier sind es zumeist die Trompeten, Baßtuben und Hörner, die zu glänzender Wirkung kommen; wie denn überhaupt die Instrumentation mit Wagner’scher Kenntniß oder Berlioz’s Geschick alle Mittel des modernen Orchesters zu verwenden und zu beherrschen versteht. Daß ein solches Werk in unsrer an genialen Erscheinungen dürftigen Zeit entstehen, daß dessen Schöpfer nach einem langen Leben voll Kämpfen, voll Enttäuschungen und Entbehrungen eine so durchschlagende, so glänzende Wirkung desselben endlich mit erleben durfte; daß wir hier in München die Kräfte nicht nur, sondern bei diesen auch das lebhafte, verständnißvolle Interesse zu einer solchen Aufführung vorfinden: das sind Thatsachen, die mit dem gegenwärtigen musikalischen Leben, mit der Epigonenzeit, an deren Anfang wir uns vielleicht befinden mögen, aussöhnen und dem ächten Musikfreund zu wahrer Befriedigung geriechen dürfen. Um in Kürze noch die sonstigen schönen Genüsse des Abends zu berühren, sei vor Allem Herrn Konzertmeister Walter die vollste Anerkennung für seine höchst schätzenswerthen Leistungen ausgesprochen. [… Viotti, Fr. Sander, Lili Dreßler, Schumann, Méhul …] ♭“. (**).

Brief Fiedlers an Hildebrand:
     "Von Bruckner hätte ich Dir viel zu erzählen, obwohl er eigentlich nicht zu beschreiben ist; Du würdest einen großen Spaß an ihm gehabt haben; er hat im Profil den reinen römischen Kaiserkopf und müßte ein famoses Relief ergeben. Vorgestern hat er noch in einer Kirche Orgel gespielt, was seine Stärke ist. Es weiß von Gott und der Welt nichts, ist wie ein Kind und dabei doch klug und auch leidenschaftlich, sehr merkwürdig. Gestern ist er abgereist. Wenn ich Dir nur bald mündlich mehr erzählen könnte [...]"(***).

Dömpke bezeichnet in der Wiener Allgemeinen Zeitung Nr. 1809, S. 1f, den Chor ”Mitternacht” (WAB 80) [am 22.2.1885] als ”unerquicklich”:
           »Feuilleton.
                Concerte.

    Mit der Pflege Brahms'scher Musik beginnt man seit einiger Zeit Ernst zu machen. [... sehr ausführlich über Brahms-Lieder im Konzert von Gustav Walter und im Konzert des WAGV, über die asymmetrischen Rhythmen bei Brahms ... letzter Absatz:]
     Das Progamm des Akademischen Gesangvereines [...] brachte im vocalen Theil [... neben anderem ... eine] Jugendarbeit von Heuberger ("Sommermorgen", op. 1) und einen viel unerquicklicheren Chor von Bruckner ("Um Mitternacht"); an instrumentalen Einlagen neben der unvergänglich frischen Fis-moll-Fuge Händel's (auf der Orgel gespielt von Herrn Labor), eine schon todt geborne Scherzo=Phantasie von Louise Hofmann=Kern.      G. Dömpke.« (°).

Die Allgemeine Kunst-Chronik Nr. 11 berichtet auf S. 210 kurz über das Konzert vom 10.3.1885: " - Im letzten Akademie-Concert zu München ist Bruckner's siebente Symphonie mit glänzendem Erfolge unter Levy's Leitung aufgeführt worden." (°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188503145, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188503145
letzte Änderung: Okt 31, 2023, 14:14