zurück 5.7.1886, Montag ID: 188607055

Kritiken über die e-moll-Messe erscheinen

in der Leipziger Zeitung (*)
 
und - von Martin Krause - im Leipziger Tageblatt Nr. 186 auf S. 3862 (= 2):
"                          Musik.
                  Riedelscher Verein.
     Leipzig, 4 Juli. Die musikalische Gegenwart zeichnet sich durch große Pietät gegen die Vergangenheit aus; [... Palestrina ...]. Einen der thätigsten Freunde haben die alten Meister in Prof. Riedel gefunden, der aber ebenso mit Recht beanspruchen darf, einer der rührigsten Pioniere für unbekannte Werke der Gegenwart genannt zu werden. Beide Eigenschaften des ausgezeichneten Dirigenten zeigte das gestrige Programm. [... Palestrina, Vittoria, Eccard, Franck, J. S. Bach ...]. Zwischen diesen musikalischen Wunderwerken hatte Bruckner mit dem Gloria und Credo aus seiner Cdur-Messe schwierigen Stand, der ihm noch dadurch erschwert wurde, daß man die Sätze nicht nur aus dem Zusammenhange herausgerissen hatte, sondern auch, und dies war noch schlimmer, dieselben anstatt mit der ursprünglichen Begleitung von Blasinstrumenten mit Orgelbegleitung vorführte. An Bruckner's Stil muß man sich immer erst gewöhnen, und dazu war keine Gelegenheit geboten, da man das kleine Orgelstück Liszt's doch unmöglich als Vorbereitung zu den Bruckner'scehn Sätzen betrachten durfte. Man darf das Experiment wohl so auffassen, daß Herr Prof. Riedel – der analoge Fall mit der Grell'schen Messe erlaubt diesen Schluß – eine Probe von der Wirksamkeit der Bruckner'schen Musik haben wollte, ehe er an das Wagniß der Aufführung der ganzen Messe herantreten will. Die Ausführung dieses Planes muß aufs Lebhafteste befürwortet werden. Namentlich das Gloria enthält Schönheiten seltenster Art, das Qui tollis peccata mundi, der große Aufschwung nach dem Quoniam tu solus Sanctus können nur dem Kopfe eines genialen Componisten entstammen. Das merkwürdige Amen, welches in eigenthümlicher Conception kaum seines Gleichen hat, erfaßt man nach wiederholtem Hören wohl noch deutlicher. Im Credo herrscht ein so eigenthümlicher Ausdruck vor, daß man das Kopfschütteln vieler Hörer wohl nicht übel deuten darf. Diese Seltsamkeit der Intention wurde auch dem Chor beinahe verhängnißvoll; es kamen Intonationsschwankungen vor, ja an einer Stelle mußte der Dirigent vernehmlich nachhelfen, um seine Schaar zusammenzuhalten. Eine Gesammtaufführung der Messe macht den Chor wohl noch intimer mit Bruckner's Eigenthümlichkeiten bekannt und verwandelt die Verwunderung des Hörers wahrscheinlich in laute Bewunderung.
     Der Chor gab sein Herrlichstes in Bach's gewaltigem Werke. [... über die Solisten und die weiteren Werke ...]. Herr Homeyer spielte Alles mit meisterhafter Beherrschung, mit großer Geschicklichkeit des Registrirens, mit all dem Glanze und der Pracht seiner großartigen Virtuosität. An der Orgel störte oft das unschöne Aufdrängen von Nebentönen, namentlich der Quinte und Octave, hoffentlich beseitigt der intelligent Erbauer der Orgel bald diesen Uebelstand.          Martin Krause." (**).

[Vermutlich an diesem Tag] Brief von Prinzessin Amalie an Levi:
   Kaiser Franz Joseph habe Bruckner einen Orden und eine Gehaltszulage bewilligt (***).

Kalendernotiz Bruckners: Zusatz »P. 17.« [Graf Pückler, 17. Lektion] beim Datum (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188607055, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188607055
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11