zurück 23.1.1888, Montag ID: 188801235

Besprechungen des gestrigen Konzerts (mit 4. Symphonie und »Te deum«) erscheinen in mehreren Zeitungen:

in der Montags-Revue, XIX. Jg., S. 6 (*),

im Neuen Wiener Tagblatt Nr. 23 auf S. 4, signiert "W. Fr." [Wilhelm Frey]:
    "War das gestern in unserem Musikhause in der Lothringerstraße ein Konzert, eine Musikaufführung, wie das Programm sagte, eine Matinée oder eine Akademie? Es war etwas von allen vier Kategorien, aber damit ist der Charakter dieses Mittages nicht erschöpft, denn jenes Konzert war eigentlich ein - Meeting. Hans Richter, das Orchester unserer Hofoper, der Chor des Wagner=Vereines hatten sich zusammengethan, um dem Wiener Komponisten Anton Bruckner durch eine würdige Aufführung zweier seiner Hauptwerke eine Satisfaktion zu ertheilen und darum konnte man auch das große Konzert, von dem wir hier sprechen, eine Satisfaktionsmatinée nennen. Man brachte Bruckner's vierte Symphonie und dessen Tedeum und der Beifall, der diesen Werken, durch die bei allen formalen Mängeln ein genialer Zug geht, gezollt wurde, war kein gewöhnlicher und nahm einen ausgesprochen demonstrativen Charakter an. Diese Musikaufführung gemahnte lebhaft an die Konzerte, die Berlioz in seiner Sturm= und Drangperiode mit seinen eigenen Kompositionen veranstaltete, und gemahnte an jene, in denen vor einigen Jahrzehnten Richard Wagner von seinen Anhängern bejubelt und von seinen Gegnern verhöhnt wurde. Anton Bruckner mag sich von den gestrigen Manifestationen gehoben fühlen und diese Manifestationen hätten einen noch reelleren Werth gehabt wenn sich nicht einige der Konzertbesucher darin gefallen hätten, den Enthusiasmus bis zur Karikatur zu treiben.     W. Fr." (**),

im Sonn- und Feiertags-Courier Nr. 4 auf S. 3, Kurzkritik, signiert »H-e.«
       "Aus dem Concertsaale.
    H-e. Eine volle halbe Stunde über  die festgesetzte Anfangszeit wurde Samstag Abends mit dem Beginne des Conservatoriums=Concertes gewartet. [ ... das Konzert wurde von Kronprinzessin Stefanie besucht ...] 
    Das gestrige Bruckner=Concert brachte dem greisen Musiker die schmeichelhaftesten Ovationen. Nach jedem Satze der "Romantischen Symphonie", deren Charakter ein Schalk auf dem Programme in Worte zu fassen versucht hat, gab es tobende Beifallsstürme und zahllose Hervorrufe. Wer könnte so grausam sein und dem alten Herrn die Freude verderben wollen!" (***),

in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 4 auf S. 4, signiert »Florestan« [= Woerz]:
     "Bruckner=Concert. Zwei große Werke Anton Bruckner's, welche wir schon aus früheren Jahren kennen, wurden gestern in einem eigenen, von Hans Richter dirigirten Concerte neuerdings zur Aufführung gebracht: die Symphonie in Es, welche wir vor sieben Jahren sympathisch begrüßten, ohne sie für ein vollkommen gelungenes Werk mit richtiger Vertheilung von Maß und Farbe halten zu können, - und das Te Deum, das wir vor zwei Jahren nicht ein religiöses, sondern ein bizarres Tonwerk nannten, ohne die einzelnen Schönheiten zu übersehen, denen leider das Band künstlerischer Einheit fehlt. Aus Interesse für den Componisten und aus dem höheren Interesse, durch wiederholtes Anhören mehr Klarheit der Auffassung zu gewinnen und die Grundlagen unserer Beurtheilung zu consolidiren, konnten wir eine neuerliche Aufführung nur erwünscht finden, zumal Bruckner die Symphonie einer Umarbeitung unterzogen haben soll. Den [sic] Eindruck, den die beiden Werke gestern auf uns machten, unterschied sich im Wesentlichen nicht von dem ersten, und wir können hier natürlich nur vom Totaleindrucke sprechen. Im Te Deum beklagten wir aufrichtig, so viele Kostbarkeiten unter Trümmern begraben zu sehen. In der Symphonie geben wir auch jetzt noch dem 1. und 3. Satze den Vorzug vor dem 2. und 4. Satze, obgleich eine dem Concertprogramme beigedruckte Kritik das Finale als den Höhenpunkt [sic] des Ganzen bezeichnet. Es dürften eben die Anschauungen verschieden sein. Uebrigens war es bisher in Wien nicht Sitte, dem Publicum eine gedruckte Kritik des zu Hörenden in's Concert mitzugeben, und wir meinen, daß sich eine solche Sitte bei uns auch nicht einbürgern sollte. Bruckner's Erfolg war glorios, und dem Genie Bruckner's sei derselbe ebenso vergönnt wie seiner Bescheidenheit.
                    Florestan." (°)

und im Wiener Tagblatt Nr. 23 auf S. 5, wo auch über das Bankett berichtet wird:
       "Die Bruckner=Feier.
    "In außerordentlicher Weise wurde gestern unser großer, vaterländischer Tondichter Anton Bruckner geehrt. [... über das Komité, Bruckners Benachteiligung, den guten Besuch des Konzerts ...] Die herrliche Symphonie hat man bei uns seit ihrer ersten Aufführung im Jahre 1881 nicht wieder im Konzertsaale gehört; ihre Wirkung erwies sich gestern noch stärker und der Erfolg äußerte sich noch entschiedener, als nach  dem erstmaligen Anhören. [... Beifall nach jedem Satz ...] und nach dem Finale, dessen Schlußperiode in erhabene Regionen reicht, wurde der Enthusiasmus stürmisch. Bruckner versuchte es, in die ihm bereitete Ovation das philharmonische Orchester und dessen Dirigenten einzubeziehen; allein dies lehnte Richter, auf den Komponisten weisend, unter lebhaftem Beifall ab. [... gewaltiger Eindruck des "Te deum", Lob für Solisten und Chöre ...] Bruckner mußte sich fast ein dutzendmal zeigen. Kronprinzessin Stefanie wohnte dem Konzerte von Anfang bis zum Schlusse bei. Die Loge der Direktion der Gesellschaft der Musikfreunde war dicht besetzt; in derselben war auch Brahms anwesend und bekundete hiedurch mehr Takt, als gewisse übereifrige Freunde, vor denen er, nach dem bekannten Sprichworte, sich eher zu schützen brauchte, als vor gar manchem vermeinten Gegner.     Bn. [Berggruen?]
   *   *   *
      Nach dem Konzerte fanden sich die Freunde des genialen Tondichters zu einem Banket im "Spatenbräu" zusammen, welches einen sehr animirten und geistig regen Verlauf nahm. Ein überaus gemüthvoller Ton, welcher die ganze, etwa fünfzig Personen zählende Versammlung beherrschte, sprach aus den von warmer Begeisterung getragenen Tischreden und den später nachfolgenden ungezählten "wilden" Toasten auf Bruckner, die deutsche Kunst, die an dem Konzerte Mitwirkenden, den die Aufführung Bruckner'scher Werke mächtig fördernden Wiener akademischen Wagnerverein, die fortschrittliche Presse etc. Außer Bruckner selbst, welcher in gewohnter bescheidner Art allen Freunden den wärmsten, und wie man ihm ansah, tiefgefühlten Dank ausdrückte, sprachen Dr. Hans Paumgartner, ein schlagfertiger und zündender Redner, Dr. Helm, Dr. Schuster, der Obmann des Wagnervereins Dr. Boller und Andere. Das Banket fand erst in den späteren Abendstunden in gehobenster Stimmung seinen Abschluß." [keine Signatur] (°°).

Aufführung der 7. Symphonie unter W. Bayerlein in einem Konzert des Nürnberger Privatmusikvereins (°°°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188801235, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188801235
letzte Änderung: Mai 13, 2024, 21:21