zurück 3.2.1891, Dienstag ID: 189102035

Besprechung der 4. Symphonie durch Theodor Helm im Morgenblatt der Grazer Tagespost Nr. 33 auf S. 1-3:
"Viertes Mitglieder-Concert des Steiermärkischen Musikvereines.
     Das vorstehend genannte Concert wurde von Herrn Josef Schalk, Professor am Wiener Conservatorium und Chordirigenten des dortigen Akademischen Wagner-Vereines, artistisch geleitet. [... Vorkämpfer für Hugo Wolf und Bruckner ... der Gedanke, eine Bruckner-Symphnie nach der eigenen Überzeugung einstudieren zu können, bewog ihn zur Teilnahme am Probrdirigieren ... 7. Symphonie in Graz durch Muck aufgeführt ... Paul Heyses, des Wagner-Gegners, Urteil über 4. Symphonie ... Herbeck verglich Bruckner mit Schubert ... Krone des Werkes ist 1. Satz ... ausführliche Erläuterung aller Sätze ...] ein munteres, zugvolles Jagdstück, in welchem zwar einige seltsame Stockungen vorkommen, deren geheime poetische Bedeutung nicht sofort einleuchtet, die aber durch die jedesmal darauf folgenden prächtigen Crescendi reichlich wettgemacht werden [... im 4. Satz "schwerste Räthsel" ... rauschender Beckenschlag ...] Zu dem Erhabendsten, was der Componist geschrieben, gehört die Schlußperiode von 65 Tacten (6/4-Rhythmus), in welche das Finale der Symphonie ausmündet. Technisch genommen die merkwürdigste, genialste unter den orgelpunktartigen Gestaltungen, unter denen gerade dieses Werk so reich ist [...]. Professor Schalk hat in einer dem gestrigen Concertzettel beigedruckten Erklärung diesem wunderbaren Ausgang eine über ein einzelnes Heldenleben hinausreichende, allgemein ethische, auf das Jenseits weisende poetische Deutung gegeben. Schließe man sich der einen oder der anderen Auffassung an, so viel steht fest: feierlicher hat noch kein Tonwerk ausgeklungen und könnte unter diesen Bläseraccorden der Vorhang über die erhabenste Tragödie niedergehen.
     Man verzeihe, wenn wir unter diesem mächtigen Schuß-Eindruck des Werkes der Aufführung nur wenige Worte widmen. Sie war überraschend gelungen. Daß Professor Schalk, der jede Note der Symphonie kennt, der sich überhaupt in Bruckner's Geisteswelt eingelebt, wie wenige unter den zeitgenössischen Musikern das Werk mit feinstem Verständniß interpretiren würde, haarscharf die richtigen Tempi treffend, congenial jeden Gefühlsaccent erfassend, sorgfältigst Licht und Schatten vertheilend, war zu erwarten. Nicht aber diese imponirende Sicherheit eines Neulings, der noch nie an der Spitze eines großen Orchesters gestanden, in der Verwirklichung seiner künstlerischen Absichten bei dieser Riesenaufgabe Angesichts [sic] des Publikums. [... Lob auch für das Orchester ...] dem gegenüber fallen einige wenige technische Mängel kaum in's Gewicht. Dem Herrn Solo-Hornisten, dem in Bruckner's Symphonie Eine der anstrengendsten Aufgaben, ja gleichsam eine Führerrolle zugefallen, müssen wir ein besonderes Ehrenkränzlein flechten, das durch das kleine Versehen, welches ihm im Finale begegnete, gewiß nicht entblättert wird; ein gleiches Lob zollen wir dem würdigen ersten Vertreter der hochwichtigen Bratschenstimme.
     Eröffnet wurde das vorgestrige Concert [... die letzte von neun Feuilleton-Spalten ist Beethoven (Coriolan) und Wagner (Siegfried-Idyll) gewidmet ... Schalks Interpretation übertreffe die von Hans Richter (mit dessen überzogenen Tempi) ...] Im Ganzen kann Herr Schalk, der, wie Herr Pohlig, durchwegs auswendig dirigirte, mit seinem vorgestrigen Grazer Debut gar wohl zufrieden sein, und war es gewiß auch das Publikum mit ihm. Wie sehr wahre Begeisterung für eine Sache selbst die fehlende praktische Erfahrung und Routine zu ersetzen vermöge, zeigte speciell seine Leitung der Bruckner'schen Symphonie.
          Theodor Helm." (*).

Kalendernotiz Bruckners:
   »Fr Kathi 7 fl für März gezalt am 3. Febr.« (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189102035, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189102035
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11