zurück 1.2.1891, Sonntag ID: 189102015

Inhalt:
A. Graz
     Kritik 30.1.1891 (*), Ankündigungen (**) und (***), Konzert (°)
B. Wien Besprechungen der 3. Symphonie (Aufführung am 25.1.1891)
     Hirschfeld (°°)/(°°°), Stolzing (#), -d-r. (Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung (##),
     Musikalische Rundschau (###), Wilhelm Frey (b), Max Dietz (c)
C. Varia
     Notiz: Ende Konservatoriumsdienst (a)
     Ankündigung 3. Symphonie in Prag (d), Hofkapellendienst (e)
     Nachruf auf Verhulst (f)
 
 
A. Graz
 
(*) Besprechung des Konzerts vom 30.1.1891 im Morgenblatt der Grazer Tagespost Nr. 32 (vermutlich durch Theodor Helm):

     " * (Grazer "Richard Wagner Verein.")
Im kleinen Ressourcesaale wurde Freitag ein sehr gut besuchter musikalisch-geselliger Abend des Grazer "Richard Wagner-Vereines" abgehalten. [... Beethovens Geistertrio mit J. Schalk, Josef Malina und Czerwenka ...] In den beiden Sätzen (3. und 1.) der Bruckner'schen Symphonie Nr. 4 in Es-dur, welche Herr Professor J. Schalk allein auf dem Claviere frei aus dem Gedächtnisse vortrug, erwies sich derselbe als hervorragender Künstler. Die Leistung übte auf den Kenner des gewaltigen Werkes einen geradezu verblüffenden Eindruck. Lebhafter Beifall wurde dem Vorgenannten zu Theil. Zum Schlusse wurde das Adagio aus Bruckner's Streichquintett in F-dur von den Herren Malina, Czerwenka [Cello], Capellmeister Schalk, Geyer und Köhler vorzüglich unter allseitigem Beifalle gespielt. Auch diese prächtige Tonschöpfung übte auf das Auditorium einen bedeutende Wirkung." [keine Signatur] (*).

Dieses Blatt (**)
und die Grazer Morgenpost Nr. 26 (***)
weisen nochmals auf das heutige Konzert hin.

(**) Das Inserat der Grazer Tagespost lautet:
"Sonntag den 1. Februar  1891 um halb 5 Uhr Nachmittags | im Stephanien-Saale: | Viertes | Mitglieder-Concert | des | Steiermärkischen Musik-Vereines | unter der artistischen Leitung des Herrn Josef Schalk, Professors am Conservatorium und Dirigent des Wagner-Vereines in Wien. [...] 3. Anton Bruckner: Symphonie in Es-dur Nr. 4 (Romantische), comp. 1874, a) Ruhig bewegt; b) Andante; c) Scherzo, bewegt; d) Finale, mässig bewegt. (Erste Aufführung in Graz.) [... Preise, Vorverkauf ...]" (**).

(***) Das Inserat in der Grazer Morgenpost verwendet die Vorlage vom 29.1.1891:
"Heute Sonntag den 1. Februar um halb 5 Uhr nachmittags / im Stephanien-Saale: [...] unter der artistischen Leitung des Herrn Franz Schalk [sic], Professors am Conservatorium und Dirigent des Wagner-Vereines in Wien. [...] 3. Anton Bruckner: Symphonie in Es-dur Nr. 4 (Romantische), comp. 1874, a) Ruhig bewegt; b) Andante; c) Scherzo, bewegt; d) Finale, mässig bewegt. (Erste Aufführung in Graz.) [... Preise, Vorverkauf ...]" (***).

(°) Aufführung der 4. Symphonie unter Josef Schalk im Konzert des Grazer Musikvereins im Stephanien-Saal (°).
Zuvor erklingen Beethovens Coriolan-Ouvertüre und Richard Wagners Siegfried-Idyll. Möglicherweise wirkte Franz Schalk als Bratscher mit (°a).
Josef Schalk hatte auf dem Programmzettel eine Erklärung zum Werk abdrucken lassen (°b).

 

B. Wien - Besprechungen der 3. Symphonie (Aufführung am 25.1.1891)

(°°) Artikel von R. Hirschfeld über die 3. Symphonie in der Neuen Wiener Musikzeitung 2 (1891) (°°), S. 85-88:
(°°°) »[...] Von musikalischer Logik wird viel gesprochen und noch mehr geschrieben; schließlich ertappen wir uns jedesmal dabei, daß wir logisch das Gewohnte, unlogisch das Ungewohnte nennen [...]« (S. 85), »[...] nur meine man nicht, einer Bruckner'schen Symphonie nach dem ersten oder zweimaligen Hören fertige Urtheile entgegenstellen zu dürfen. Die erhabensten Kunstgenüsse sind selten die bequemsten. Das Studium einer Bruckner-Partitur zählen wir zu den höchsten künstlerischen Freuden [...]« (S. 86) - und [Fortsetzung in einer späteren Nummer?] S. 97-99 (°°°).

(#) Artikel von Josef Stolzing in der Ostdeutschen Rundschau Nr. 5 auf S. 6 [über die 3. Symphonie am 25.1.1891]:
"Musikaufführung des Wiener akademischen Richard Wagner-Vereines. - [...]
     Mit einer Musikaufführung, deren Programm so herrlich sich von ähnlichen Unternehmungen unterschied, hat der  akademische Wagner-Verein eine glänzende That in der an wahrer Musik so armen "Concertsaison" vollbracht. Möchte doch sein Beispiel Nachahmung finden!
[ ... über die Wagner-Werke ...]
     Anton Bruckner's D-moll-Symphonie Nr. 3 machte den Schluß. Nach jedem Satze folgte heller Jubel, und der Meister erhielt einen Lorbeerkranz. War auch die stürmische Kundgebung nicht nach dem Geschmacke der Herren Hanslick, Königstein, Heuberger, Kalbeck und Consorten, so war sie doch umso echter, als die Arier entschieden in der Mehrzahl gegen das sonstige semitische Publicum waren.
     Die D-moll-Symphonie zweimal in kurzer Zeit nacheinander aufzuführen, das war für den Herrn Hofrath zu viel. Doch wie gerne hätte er Bruckner statt Brahms für den Messias in der neudeutschen Musik erklärt, wenn er nur nicht seine D-moll-Symphonie dem Meister Richard Wagner gewidmet hätte. Der unpraktische Componist! Wie schön hätte sich auf dem Titelblatte die Widmung ausgenommen:
     "Dem berühmten Musikkritiker Herrn Hofrath Dr. Eduard Hanslick gewidmet in tiefster Ehrfurcht vom Verfasser."
     Dafür wäre dann in der "Neuen Freien Presse" zu lesen gewesen:
     "Ed. H. Anton Bruckner ist der größte Symphoniker nach Beethoven - pardon, nach Mendelssohn - und die letzte Aufführung seiner D-moll-Symphonie war für uns ein Ohrenschmaus nach der feierlichen Langeweise der kalt declamirenden, unendlichen Melodie Wagner's.      Josef Stolzing." "
[anschließend eine mit "J. C." signierte Kurzkritik über das Quartett Kretzschmann und ein Hinweis auf eine Veranstaltung des Neuen Richard Wagner-Vereins am 13.2.1891 im großen Saal der Wiener Ressource ("deutsche Gäste sind herzlichst willkommen") [kein Werk Bruckners angekündigt] und auf einen Vortrag von Josef Czerny über den Fliegenden Holländer am 6.2.1891 (#).

(##) Die Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung Nr. 4 bringt auf S. 40 eine Kritik (signiert "-d-r.") zum Konzert vom 25.1.1891 (mit der 3. Symphonie):
     "Die Musikaufführung des akademischen Wagner=Vereines (25. Jänner) führte unter Hofkapellmeisters Hans Richter's Leitung drei bekannte Werke vor. Wagner's "Parsifal=Vorspiel", u. "Siegfried=Idyll" und Bruckner's D-moll-Symphonie Der große Musikvereinssaal war bis auf den letzten Platz gefüllt und das Auditorium sehr beifallslustig. Den meisten Erfolg aber hatte die permanente Brucknerausstellung, welche nach jedem Satze von Neuem eröffnet wurde. Nach dem zweiten Satze erhielt Bruckner einen Lorbeerkranz, den ihm einige Schüler - wohl zum Zeichen ihrer vollsten Zufriedenheit mit dem Meister - überreichten. Ueber die beispiellos beklatschte Symphonie können wir Neues nicht sagen und verweisen auf unseren ausführlichen Artikel darüber in der Neujahrsnummer dieses Blattes. Die Wiedergabe des Werkes war nicht so sorgfältig wie im philharmonischen Concerte und verhielt sich zu dieser etwa wie eine Generalprobe zur Aufführung. Dagegen war der Applaus im philharmonischen Concerte anscheinend nur die Generalprobe desjenigen im Wagnervereins=Concerte.
                    –d–r." (##).

(###) Diese Aufführung wird auch in der Musikalischen Rundschau Nr. 4 auf S. 39 besprochen:
"Wiener Concerte.
[...]
.....Am 25. v. M. fand eine vom Wiener akademischen Wagnerverein veranstaltete Musik-Aufführung statt. Die Hauptnummer des Programmes bildete die Wiederholung der im vorletzten philharmonischen Concerte aufgeführten dritten Symphonie von Anton Bruckner. Es ist dies ein Werk, welches vielleicht deutlicher als irgend ein anderes die Vorzüge und Mängel des genial veranlagten Componisten documentirt. Trotz Bruckners reicher Phantasie, trotz zahlreicher glücklicher Einfälle und der vielen feingearbeiteten, trefflich contrapunctirenden Partien fehlt es der ganzen Symphonie an Vollendung des künstlerischen Baues. Die Themen sind mehr mosaikartig zusammengesetzt, als organisch aus sich heraus entwickelt. Man vermisst den Eindruck des Nothwendigen, des Logischen. Im Allgemeinen zeugt sich der Componist in dieser Symphonie stark von Wagner und Beethoven beeinflusst: bald fegt ein Wolkenfetzen aus der "Götterdämmerung" vorüber, bald werden wir durch ein Wetterleuchten Beethoven'schen Geistes daran gemahnt, dass auch "die Neunte" aus D-moll geht.
     Anton Bruckner wurde selbstverständlich nach jedem Satze von den bekanntlich sehr temperamentvollen Wagnerianern gerufen und mit einem Lorbeerkranze bedacht. Der Symphonie ging Wagners "Siegfried-Idyll" und das stímmungsvolle "Parsifal" Vorspiel voraus. Der von Hans Richter geleiteten Aufführung lässt sich nur Gutes nachsagen." (###).

(a) Dort (Musikalische Rundschau) auch auf S. 43 eine Notiz, daß Bruckner am Konservatorium für ein Jahr beurlaubt wurde:
"Von der Gesellschaft der Musikfreunde.
[...] Ueber ein Gesuch des Professors Anton Bruckner um Ertheilung eines einjährigen Urlaubes wurde beschlossen, diesen Urlaub gegen Carenz aller Bezüge und gegen Enthebung von der Verpflichtung, Substituten zu bestellen, zu gewähren. [...]" (a).

(b) Kritik von Wilhelm Frey zum Konzert vom 25.1.1891 im Wiener Salonblatt Nr. 5 auf S. 14f:
          "Concerte.
I
n dem knappen Zeitraume von kaum zwei Wochen sind im Bösendorfersaale in unmittelbarer Aufeinanderfolge vier musikalische Persönlichkeiten aufgetreten, von denen jede einzelne einen individuellen Charakterkopf zeigt. [... Therese Carreno, Josef Wienianski, Moritz Rosenthal, Emil Sauer ... weitere Konzerte ...] Der akademische Richard Wagner=Verein glaubt den Componisten der erst jüngst von den Philharmonikern zur Aufführung gebrachte [sic] D-moll=Symphonie, Anton Bruckner, nicht besser ehren zu können, als wenn er dieses Werk nochmals und zwar in einer passende [sic] Umrahmung in die Oeffentlichkeit brächte. [... damals ungünstig am Programmende (hungriges Modepublikum!) ... diesmal nur 2 kürzere Stücke Wagners zuvor ...] - Der Erfolg nun, den das mehrfach bezeichnete Werk diesmal fand, war ein allgemeiner, ein rauschender, fast lärmender und der große Componist mit dem hellen Blick und dem jugendlichen Gehaben, mußte unzählige Male auf dem Podium des großen Musikvereinssaales erscheinen, um seinem gerührtesten Dank für die ihm zugedachten und in's Werk gefaßten Ovationen Ausdruck zu verleihen. Anton Bruckner wird diesen Tag zu den erhabendsten [sic] Erinnerungen seines Lebens zählen und die Leitung des Wagnervereines darf stolz darauf sein, dem wackeren Meister die große Ehrung dargebracht zu haben. Wilhelm Frey."
[siehe die Anmerkung] (b).

(c) In der Allgemeinen Kunst-Chronik Nr. 3 (3. Jännerheft ) bespricht Max Dietz auf S. 77 (Artikel S. 76 - 78) die Aufführung der 3. Symphonie beim Wagner-Verein [25.1.1891]:
                 "Musikalische Chronik.
     Im Bösendorfer-Saale lenkte eine junge Mexikanerin durch den Massenandrang des Publikums zu ihren Konzerten beinahe das wachsame Auge der Polizei auf sich, Therese Carreño, eine jener bildschönen Frauengestalten, die auf den ersten Anblick siegen.[... über weitere Konzerte und Liederabende ...]
     [... S. 77: Ambrosius-Verein, Wagner-Verein ...] Den Schluss des Konzertes bildete Bruckner's vielumstrittene dritte Symphonie in D-moll. In ihr bemerkt man deutlich, wie der Bacillus der Wagnermanie den gesunden Bau der symphonischen Form anfrisst. Wir wollen nicht missverstanden sein. Auch wir zählen zu den aufrichtigen Verehrern des gewaltigen Bayreuther Meisters, doch kann darüber keine Täuschung obwalten, dass Wagner's Theorie, auf die reine Instrumentalmusik angewendet, so gut wie die Faust auf's Auge passt und nur Anlass zu traurigen Verirrungen bieten kann. Dass das großzügige, wenn auch ungleich gearbeitete Werk einen stürmischen Erfolg davontrug, ist bei der Zusammensetzung dieser Zuhörerschaft sonnenklar. Immer von Neuem ward der hochbetagte Komponist aus dem stillen Winkel der Bescheidenheit, in den er sich zaghaft zurückgezogen, durch dröhnende Beifallssalven aufgescheucht, hervor- und hinaufgejubelt und ihm, eben als er auf der Estrade schüchtern in sich zu versinken drohte, ein Riesenlorbeerkranz in die zitternde Hand gedrückt. Hierauf brausender Jubel, lärmendes Bravorufen und damit Ende.           Dr. Max Dietz." (c).

 

C. Varia

(d) Das Prager Tagblatt Nr. 32 kündigt auf S. 7 die 3. Symphonie für den 14.2.1891 an: " *- Vom Neuen deutschen Theater. Mit Rücksicht auf den am 7. Februar stattfindenden Ball der deutschen Schriftsteller und Künstler wurde der Spielplan dahin festgesetzt. daß an diesem Abend keine Novität aufgeführt wird. Es wurde demnach [...] das zweite philharmonische Concert auf den 14. Februar angesetzt. Die Gedenkfeier von Richard Wagner's Todestag wird am 13. d. M. mit der Aufführung des "Fliegenden Holländer" in neuer Inscenirung und Ausstattung begangen. Das zweite philharmonische Concert, das den TAg darauf stattfindet, bedeutet zugleich eine Nachfeier, da die erste Abtheilung des Concerts die Symphonie Nr. III (D-moll) von Anton Bruckner bringt, welche bekanntlich Rich. Wagner gewidmet ist. [...]" (d).

(e) Kalendernotiz Bruckners: Zusatz »Br« bei dieser Woche [Dienst an der Hofkapelle] (e).

Bruckner wird im Nachruf auf Verhulst in der "Caecilia" Nr. 4/5 (Algemeen muzikaal tijdschrift van Nederland) auf S. 29 erwähnt [irrtümlich 6. Symphonie statt recte 3. Symphonie]:
"[...]  Een bewijs voor deze meening vonden wij in de wedergave onder V's. leiding van de 6de Symphonie van Brückner, — een werk aan Richard Wagner opgedragen en geheel en al in diens stijl gedacht en geschreven; — die uitvoering liet niets te wenschen over en heeft dit peil bij eene herhaling niet kunnen bereiken.
     [...]." (f).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189102015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189102015
letzte Änderung: Dez 15, 2023, 9:09