zurück 18.6.1891, Donnerstag ID: 189106185

Schreiben Hellmesbergers [an Simon Leo Reinisch]:
    Er halte Bruckner für einen der bedeutendsten, wenn nicht den bedeutendsten Symphoniker der Gegenwart, dessen Werke (auch in der Kammer- und Kirchenmusik) den Stempel der Ursprünglichkeit und der technischen Meisterschaft aufwiesen (*).

Die Linzer Zeitung veröffentlicht einen Bericht der Kölnischen Zeitung über die Berliner Aufführung des »Te deum« [am 31.5.1891]:
"     Theater= und Kunstnachrichten.
     - Gelegentlich der Aufführung von Anton Bruckners Tedeum in Berlin, worüber wir kürzlich Mittheilung gemacht haben, schreibt der Referent der "Kölnischen Ztg." Folgendes: "Keine größeren Gegensätze als Bruch und Bruckner! Beide hatten diesmal das geistliche Gewand angezogen, jener um Theile der Messe, dieser um ein Tedeum zu "vertonen"; während Bruch das zweite Concert nach einem vortrefflichen Orgelvortrag Dr. Reimanns eröffnete, wurde es von Bruckner beschlossen; jener hatte mit dem frischern , aber zweifelsüchtigern, dieser mit dem ermüdeten Publicum zu rechnen, und beiden gelang es, die Palme des Erfolgs zu erringen. [... über Bruchs Messe ...]. Klüglicherweise war Bruckners Tedeum, das seine Entstehung auf dem Boden des katholischen Cultus an vielen Stellen eingesteht und das dennoch innerhalb dieser Cultusschranken sich als ein wahrer Aufrührer wegen der eigenartigen Behandlung des genugsam componirten Textes entpuppt, an den Schluß gestellt. Bei so urwüchsigen Einfällen, so kühnen, gewagten Wendungen und Wirkungen kann auch der abgespannteste Zuhörer nicht gleichgiltig bleiben, und über Neudeutschland wehte es aus dem Tedeum gar wie ein Hauch des frühern impressionistischen Geistes her, das alles billigt, wenn es nur einen starken Eindruck äußert. Man mußte dem alten Wiener Meister, der noch bis vor etwa zehn Jahren als ein wenigen bekannter Sonderling ein beschauliches Musiker=Dasein fristete, bis er am Morgen nach der Aufführung seiner siebenten Symphonie in E-dur als ein berühmter Mann erwachte, wohl stellenweise gram sein, daß er die Farben gar zu dick auftrug und gar zu grell neben einander setze, und konnte doch nicht umhin, von seinen sprühenden Einfällen, von seinem blendenden Orchestercolorit, seiner merkwürdigen Ausbeutung der contrapunktischen Kunst gefesselt zu sein. Und wie der Künstler mit der ungeschminkten Bescheidenheit des Auftretens vor dem Publicum erscheinen mußte, da ergossen sich Fluten des Beifalles über ihn. Vielleicht wird sich eine spätere Generation darüber verwundern, daß die Gegenwart nicht mehr Wesens von ihm gemacht hat; der Fall wäre nicht neu, und der Lauf der Welt ist noch immer der alte, wenn auch einige bewußte oder unfreiwillige Spaßvögel uns das Gegentheil versichern. Beide Werke wurden von Siegfried Ochs und seinem frischen, musikalisch sichern philharmonischen Chor mit vortrefflichem Gelingen aufgeführt." [keine Signatur]" (**).

Im Musikalischen Wochenblatt Nr. 25 erscheint auf S. 327 - 328 ein Bericht über das Berliner Tonkünstler-Versammlung (auf S. 328f zum "Te deum" [am 31.5.1891]):
                       "Musikbriefe.
Die 28. Tonkünstler-Versammlung des Allgemeinen deutschen Musikvereins zu Berlin.
     [... Erwartungen in die Reichshauptstadt Berlin (zu groß!) wurden nicht erfüllt ... besser ein Festdirigent ... alle Konzerte zu lang (3 Stunden Kammermusik im 1. Konzert!) ...]
     Mit dem zweiten Concert kam man schon den Anforderungen näher, welche man an ein Berliner Festconcert stellen durfte. Das Programm war zwar wiederum zu massig, aber die Ausführung war so ausserordentlicher Art, dass man sich gern fesseln liess. Hr. Dr. Reimann eröffnete das Concert mit dem vortrefflichen Vortrage eines Orgel-Praeludiums von S. Bach. [... Max Bruch ... Dvorak Violinkonzert ... MacDowell Klavierkonzert ... Draeseke ... von Kalisch gesungene Cornelius-Lieder] gönnten dem Zuhörer eine kleine Erholung vor der Entgegennahme der gewaltigsten Gabe des Concertes, des "Te Deum" für Chor, Soli, Orchester und Orgel von Anton Bruckner. Ein gewaltiger, musikalischer Geist kämpft in diesem Werke um seine Rechte, mit Gott, mit der Welt, mit dem Schicksal. Alle Drei haben Bruckner nicht verwöhnt mit Gunstbezeugungen, und wenn er jetzt, ein Greis in der äusseren Erscheinung, jene Anerkennung beansprucht, die man ihm vor dreissig Jahren nicht hätte vorenthalten dürfen, so nimmt er, der unerschütterlich an seine Mission Glaubende, unsere volle Theilnahme in Anspruch. Auch das grosse, sonst so leicht an ernste [sic] Erscheinungen zweifelnde Publicum fühlt jetzt in Bruckner's Musik das Aussergewöhnliche, Ausserordentliche heraus. Es ist ganz selbstverständlich, dass der Componist es nicht Allen recht macht, er, der vor Allem in der Musik seine ureigene Erfindungs- und Gestaltungskraft zum Ausdruck bringt, er, der wohl nie daran gedacht hat, der grossen Menge eine wohlgefällige Gabe darzubieten. Deshalb scheint es auch gefährlich, wenn nicht leichtfertig, über ein in jeder Note aussergewöhnliches Werk, wie das "Te Deum", ein endgiltiges Urtheil fällen zu wollen. Der Grösse des Werkes würde dasselbe nicht schaden, wohl aber erschwert man dem rastlos nach Befreiung von allen Fesseln ringenden Componisten aufs Neue den Weg zum Verständniss, den er endlich doch gefunden zu haben scheint. Bruckner's Stil in seinem "Te Deum" hat etwas Erhabenes, oft ist der Ausdruck gewaltig und erschütternd, immer originell und fesselnd. Zwar steht man beim ersten Anhören den dunklen Stellen des Werkes verständnisslos gegenüber, aber auch in ihnen fühlt man einen Geist walten, dem die Kunst als etwas Unendliches, in ihren letzten Zielen zur Loslösung vom Irdischen Führendes erscheint, - das Genie gibt dem Stoffe die Weihe des Erhabenen. Dem Componisten wurden trotz des seriösen Charakters seines Werkes die nachdrücklichsten Huldigungen dargebracht, minutenlang durchbrauste ein Beifall das Haus, welcher zeigte, dass man an der schwerfälligen Spree schneller aufzufassen im Stande ist, als an der schnellfliessenden, leichtlebigen Donau. Der Bruckner-Triumph war wohl der erhebendste, merkwürdigste Moment des ganzen Festes. Zur Ausführung seiner Werkes darf man dem bescheidenen Componisten ebenso warm gratuliren, wie Bruch zu der seines "Kyrie", "Sanctus" und "Agnus Dei". Von den Thaten des Philharmonischen Chores und seines excellenten Dirigenten Hrn. Siegfried Ochs berichteten schon früher die Blätter der Reichshauptstadt mit schöner Einmüthigkeit des Lobes. Und diese Einhelligkeit der Anerkennung fand man auch bei der Hörerschaft der Tonkünstler-Concerte. Der Chor ist aus vorzüglichem Stimmmaterial gebildet, das sich unter der Hand des famosen Dirigenten ungemein bildsam, schmiegsam und biegsam zeigt. Ein leiser Wink genügt, um gewaltige Steigerungen hervorzurufen, ein weiteres Zeichen lässt den Klang des Chores zum wunderschönen Piano herabsinken, die Pünctlichkeit der Einsätze und die Genauigkeit der Intonation sind über allen Zweifel erhaben, - kurz man gewann den Eindruck ausserordentlicher Leistungsfähigkeit des Chores und seines intelligenten Führers. [... kurz über Weingartner ...]
     Einen eigenartigen Genuss gewährte Hr. Dr. Reimann am Montag-Nachmittag einem, wenn auch nicht grossen, so doch sehr gewählten Publicum mit dem Vortrage einer Reihe Compositionen von Bach, Caldara, Rüfer, Dayas und Liszt auf der ungemein leistungsfähigen Orgel der Philharmonie. [... über das Instrument, Reimanns Registrierungskunst, die Werke ...]
     Nach Reimann setzte sich Anton Bruckner an die Orgel, der vorher der aufmerksamste Hörer war, und erfreute die Hörer durch Eine seiner genialen Improvisationen.
                   (Schluss folgt.)"
[Signatur am 2.7.1891:] M. Krause. [vermutlich: Martin Krause] (***).

Ein Inserat in der Linzer Tagespost Nr. 137 auf S. 5 beruft sich auf das Bruckner-Porträt [vermutlich IKO 32 Kopie) gemeint]:
                         "Herr Ferry Beraton,
dessen hervorragende Leistung auf dem Gebiete der Porträtmalerei durch das in meinem Schaufenster ausgestellte Bruckner=Porträt von Fachkreisen anerkannt wurde, wird sich für einige Zeit behufs Anfertigung von Porträten hier aufhalten.
     Liebhabern von wirklich künstlerisch ausgeführten Porträten möchte ich diese Gelegenheit besonders empfehlen und bin ich zu Auskünften gerne bereit.
                                         E. Mareis,
                                    Linz, Landstraße 34.
" (°).

(Brief von Joh. Bap. Katschthaler (Salzburg) am Bernhard Deubler:
     Bei der gestrigen Sitzung des Cäcilien-Vereins-Ausschusses sei beschlossen worden, den Instruktionskurs auf 1892 zu verschieben. Offizielle Gründe: Mozart-Centenarium, Priesterexerzitien und die Streichung der Generalversammlung des CV. Interne Begründung: nach der Mozartfeier seien weniger Teilnehmer zu erwarten und "der Contrast, der zwischen dem pompösen Mozartfeste u. unserem Kurse natürlich zu Tage tretten würde." Grüße an Dr. Ackerl (°°)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189106185, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189106185
letzte Änderung: Mär 30, 2023, 12:12