Bruckner und Stradal unterhalten sich im Gasthaus »Kugel« [= »Zur blauen Kugel«? Vgl. 11.7.1892] über die Aufführung der 4. Symphonie (*).
Kurzkritik zur 4. Symphonie (am 15.6.1892) im Deutschen Volksblatt Nr. 1239 auf S. 6:
" Concert des Akademischen Wagner-Vereines.
In der Musikhalle der Ausstellung fand gestern das vom "Akademischen Wagner=Verein" veranstaltete deutsche Concert statt, das in einer geradezu großartigen Weise verlief und von einem durchschlagenden Erfolge begleitet war. Meister Bruckner, dessen vierte romantische Symphonie (Es-dur) zur Aufführung gelangte, wurden stürmische Ovationen zutheil, wie wir solche in den Wiener Concertsälen noch niemals gehört und gesehen haben. Schon nach dem ersten Satze der herrlichen Symphonie wurden dem genialen Meister, dessen unvergleichliches Werk sich im Sturme allgemeinen Beifall eroberte, brausende Ovationen zutheil, die sich von Satz zu Satz steigerten und nach dem unvergleichlich schönen vierten Satze womöglich ihren Höhepunkt erreichten. Als Dr. Bruckner, vom Vorstande des Wagner=Vereines, Dr. Boller, geleitet, den stürmischen Zurufen der Menge nachgebend, die Estrade bestieg, um für die jubelnden Beifallsbezeugungen zu danken, da durchbrauste ein Beifallsorkan die bis auf das letzte Plätzchen gefüllte Musikhalle, wie wir ihn noch niemals gehört haben. Die Frauen winkten dem sichtlich auf das Freudigste erregten Meister, der sich ununterbrochen nach allen Seiten dankend verbeugte, mit ihren Taschentüchern zu, die Musiker standen von ihren Plätzen auf und begrüßten mit jubelnen Zurufen Meister Bruckner – das ganze Haus athmete Begeisterung – es war ein feierlicher Abend, der verdient, mit goldenen Lettern in der Geschichte des Wagner=Vereines verewigt zu werden. Es ist nicht Aufgabe dieser Zeilen, über den künstlerischen Verlauf des Concertes an dieser Stelle zu berichten, sondern wir beschränken uns darauf, auf den durchschlagenden Erfolg, den Meister Bruckner's herrliches Werk bei seiner gestrigen Aufführung fand, in Kürze hinzuweisen. Der Lorbbeerkranz, der Meister Bruckner überreicht wurde, war ein wohlverdienter, und wohl selten hat ein Würdigerer ihn empfangen.
Ueber den Verlauf des Concertes werden wir an anderer Stelle berichten."
[keine Signatur] (**).
Berichte über dieses Konzert erscheinen auch
in der Deutschen Zeitung Nr. 7350, Beilage S. 5, signiert "h-m." [Theodor Helm]:
"Theater, Kunst und Literatur.
[...]
(Concert des Wagner=Vereins.) Die heutige Musikaufführung des Akademischen Wagner=Vereins in der Tonhalle, welche glänzend besucht war, gipfelte in der jubelnden Aufnahme der von Professor Schalk unübertrefflich - auswendig! - dirigirten und vom Orchester - nach nur vier Proben! - erstaunlich herausgebrachten Romantischen Symphonie Bruckner's (Nr. 4, Es-dur). Eine der herrlichsten und großartigsten Schöpfungen des Meisters, die hinreißende Offenbarung einer schier unerschöpflichen Phantasie! Es ist dasselbe blühende Wunderwerk, das 1890 ganz München - darunter besonders den Dichter Paul Heyse - in höchste Begeisterung versetzte; nach der letzten Wiener Aufführung von 1888 haben wir es an dieser Stelle ausführlich besprochen. Heute wurde Bruckner nach jedem Satze der Symphonie mehrmals stürmisch gerufen und am Schlusse auch von Frau Fürstin Metternich und Baron Bourgoing für seinen großen Erfolg herzlich beglückwünscht. Gleichzeitig brachte ihm das Orchester - ein seltener Act spontaner Huldigung -einen festlichen Tusch aus. Ueberdies wurden im Namen der Ausstellung zwei prächtige Lorbeerkränze überreicht, einer für den genialen Tondichter, der andere für seinen congenialen Interpreten Professor Schalk bestimmt. [... die übrigen Werke, darunter Hugo Wolf, in einer folgenden Besprechung ...] h-m." (***),
im Neuen Wiener Tagblatt Nr. 166 auf S. 5, signiert "W. Fr." [Wilhelm Frey]:
" Konzert. Der Wiener akademische Wagner=Verein, der sich in den letzten Jahren ganz besonders auch in künstlerischer Weise so sehr gehoben und sich eine selbständige musikalische Stellung geschaffen, gab gestern in der Musikhalle ein Konzert, das sehr gut besucht war und ein Publikum angelockt hatte, das mit lebhafter Empfänglichkeit dem interessanten Programm folgte. [... ausführlicher über Hugo Wolf (Solisten: Margarethe Peterson, Karl Astner) ...] Es folgte dann Anton Bruckner's "romantische Symphonie", die stürmisch akklamirt wurde, [... Liszt, Wagner ...] und der Dirigent Herr Josef Schack [sic] mußte oft und oft für die lebhafte Anerkennung danken, die ihm im Laufe des etwas allzureich ausgestalteten Konzertabends gespendet wurde. W. Fr." (°),
von Robert Hirschfeld in der »Presse« Nr. 166 auf S. 14: "Der Wiener akademische Wagner=Verein veranstaltete heute in der Tonhalle unter der befeuernden Leitung seines tüchtigen Dirigenten Josef Schalk ein großes Concert, dem das Publicum in dichten Schaaren zugeströmt war. Der Vereinschor, das Symphonie=Orchester der Ausstellung, die Solisten Fräulein Petersen und Herr Asten[Astner] wirkten kräftig und begeisternd zusammen. Mit Wagner's "Huldigungsmarsch" begann die festliche Aufführung, mit der erhebenden Verherrlichung Hans Sachens aus "Die Meistersinger von Nürnberg" klang das Concert aus, welchem Werke von Bruckner, Liszt und Hugo Wolf eingefügt waren. Nach der Vorführung von Anton Bruckner's Symphonie in Es-dur (Nr. 4) wurden dem anwesenden Meister stürmische Ehrungen bereitet. Die Ausstellungs=Commission überreichte Anton Bruckner und dem Dirigenten Schalk durch eine Deputation zwei riesige Lorbeerkränze. Alle Anwesenden stimmten dieser Ovation durch lebhafte Zurufe, Tücherschwenken und schallenden Beifall zu. Wir kommen auf das schöne Concert, welches erst in vorgerückter Nachtstunde endete, noch mit einigen Worten zurück. r. h. " (°°)
und im Illustrierten Wiener Extrablatt Nr. 166 auf S. 3:
"Der Wagner-Verein in der Tonhalle.
Das gestrige Concert des Akaddemischen Wagner-Vereines gestaltete sich zu einer imposanten Ehrung für Anton Bruckner. Wir gönnen dem Meister die ihm gewordene Auszeichnung und freuen uns, daß die Sonne des Erfolges seinen Lebensabend verklärt. Bruckner's vierte romantische Symphonie fand eine vortreffliche Aufführung. Es war für das noch junge Symphonie-Orchester keine leichte Aufgabe, dieses an großen musikalischen Schönheiten reiche, aber auch an Schrullen nicht arme Werk zu interpretiren. Der gestrige Abend bewies, wie musterhaft die Musikerschaar von Hermann Grädener in kurzer Zeit geschult wurde. Am Dirigenten-Pulte erschien Joseph Schalk, der, ohne die Partitur vor sich zu haben, frei aus dem Gedächtnisse die Aufführung der umfangreichen, schwierigen Symphonie leitete. Wir machen Herrn Schalk unser Compliment für seine Leistung. [... über Hugo Wolf, Wagner, Liszt ...] An dem Erfolge des Abends hatten Frl. Petersen, Herr Astner und der Chor des Vereines lebhaften Antheil. Die Tonhalle war von einem distinguirten Publicum dicht besetzt. Nach der vierten Symphonie von Bruckner überreichte die Frau Fürstin von Metternich dem überglücklichen Componisten einen riesigen Lorbeerkranz. Das Orchester blies einen Tusch und das Publicum applaudirte aus Leibeskräften. Ganz recht. Wir halten es mit Wagner, der seinen Hanns [sic] Sachs sagen läßt: "Ehrt Eure deutschen Meister, dann bannt Ihr gute Geister." [keine Signatur] (°°°).
Das Musikalische Wochenblatt Nr. 25 bringt auf S. 312 einen »Wiener Musikbrief«, in dem im Zusammenhang mit der Musikausstellung auch Bruckner und Tilgners Bruckner-Büste erwähnt werden:
" Wien.
(Fortsetzung.)
Des gewohnten Zuspruchs eines begeisterten Stammpublicums erfreuten sich [... Liederabende ... über Hugo Wolf und seine Unterdrückung durch die Wiener Kritik...] Wie es scheint, kann es die Clique Hugo Wolf, wie Anton Bruckner auch nicht verzeihen, dass Beide gleichsam aus dem Schoosse unseres Akademischen Wagner-Vereins hervorgegangenen sind, jedenfalls ohne dessen eifriges Hinzuthum heute lange nicht so bekannt wären, wie es ihrer Bedeutung zukommt. Bei Bruckner ist diese Bekanntheit in Wien bereits zur Berühmtheit, ja, was vielleicht mehr wiegt, zur Popularität gediehen: man braucht ja nur in unserer Musikausstellung herum zu wandern, um allenthalben Bruckner's Namen zu vernehmen, ihn selbst in Wort und Bild vorgeführt zu sehen (Tilgner's sprechend ähnliche Büste erregt geradezu Aufsehen und war schon öfters mit Blumen geschmückt), selbst das Schattenspiel in dem kleinen japanesischen Theater hat sich den greisen Meister als eine der markantesten musikalischen Persönlichkeiten nicht entgehen lassen, die – vor etwa zehn Jahren vom grossen Publicum in Wien entweder noch gar nicht gekannt oder doch kaum ernst genommen – nun gewöhnlich in Einem Athem mit Brahms genannt wird: die zwei berühmten Doctoren unter den Wiener Componisten: wie oft vernehmen wir dieses geflügelte Wort auf der Ausstellung! Hugo Wolf ist nun freilich nicht entfernt zu gleich allgemeinem Ansehen durchgedrungen, wie Bruckner, was einerseits schon durch das von ihm vorzugsweise gepflegte, weit bescheidenere Genre [... Lied ...], andererseits auch in einem gewissen Uebereifer seiner Freunde begründet erscheint, der dann natürlich auf der anderen Seite wieder verdoppelte Opposition erweckt. [über Wolfs Liederabend und kurz über andere Konzerte ...] (Fortsetzung folgt.)
[Signatur am 7.7.1892:] Dr. Theodor Helm." (#).
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189206165, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189206165letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11