zurück 17.6.1892, Freitag ID: 189206175

Brief August Stradals an Hans Puchstein:
    Er plane noch ein weiteres Konzert [vgl. 14.6.1892] in der Ausstellung mit Lisztschen Werken. Gestern sei er mit Bruckner in der Kugel gewesen. Trotz einiger Einwände (Orchester, zu schnelles Tempo im 1. Satz) sei dieser über den Erfolg der 4. Symphonie selig. Josef Schalk habe mit dem Orchester erstaunlich gearbeitet. Das Adagio der 8. Symphonie, das er, Stradal, zweihändig gesetzt habe, werde im Laufe des Sommers gedruckt (*).

Kritik von R. Heuberger über die Aufführung der 4. Symphonie [am 15.6.1892] im Wiener Tagblatt Nr. 167 auf S. 5f:
   "Konzert des akademischen Wagner-Vereins.
      Nachdem wir gestern bereits den großen äußeren Erfolg des Konzerts des akademischen Wagner-Vereins konstatirt haben, fühlen wir die Verpflichtung, der Einzelnheiten [sic] der interessanten Aufführung noch besonders zu gedenken. Von den Nummern des Programms zog, abgesehen von der in Wien bereits sehr bekannten Bruckner'schen Es-dur-Symphonie, namentlich Hugo Wolf's Musik zu Ibsen's schwungvollem Jugenddrama "Das Fest auf Solhaug" erhöhte Aufmerksamkeit auf sich als Werk eines reichbegabten, kühn intentionirenden, wenn auch in Zielen und Mitteln oft - man könnte fast sagen absichtlich - irrenden jungen Komponisten. [... über das Werk und die Interpreten (Karl Asteer, Frl. Petersen) ...].
     Außer Wolf's Solhaug-Musik fanden Wagner's Huldigungsmarsch und ein Meistersinger-Fragment, Bruckner's Es-dur-Symphonie und Liszt's Gaudeamus-Humoreske untzer Herrn Kapellmeister Schalk's ebenso auspruchsloser als durchwegs ausgezeichneter Leitung eine vorzügliche Wiedergabe. Der aus frischen, blühenden Stimmen bestehende Chor und das tüchtige Ausstellungs-Orchester leisteten weit mehr, als man bei der Schwierigkeit der gestellten Aufgaben irgend erwarten durfte.
     Zweier Instrumente - "innig gesellt" - müssen wir aber, da sie sich unliebsam bemerkbar machen, mit ein paar Worten erwähnen; es sind dies sie Kontrabaßtuba und die Pauken. Die letzteren haben einen so üblen Klang, daß dringend zu wünschen ist, daß man recht bald ein Paar besserer und auch eine Anzahl verschiedener Schlägel hiezu anschaffe. Die dermalen aufgestellten Exemplare klingen wie leere Fässer, aber nicht wie Pauken. Und die Tuba ... Es war gestern, als flögen Einem faustgroße Kieselsteine an den Kopf, so oft dem Rieseninstrumente die Töne entquollen. Der Bläser kam gerade noch in die Podiumsnische zu sitzen, und so reflektirten seine an die gewölbte Verschalung gestoßenen Töne wie Gellschüsse ins Publikum. In beiden Fällen ist Abhilfe zu wünschen. Zum Schlusse diesbezüglich ein Vorschlag zur Güte: Man gebe die Pauken einer - Oebstlerin, welcher sie gewiß - nach Entfernung des Felles - prächtige Dienste leisten werden; dagegen tausche man den Schirm der Dame ein, und lasse den Tubabläser darunter seines Amtes walten.
          R. Hr." (**).

In der Wiener Abendpost Nr. 137 (Wiener Zeitung) berichtet auf S. 5f Hans Paumgartner auch von diesem Konzert:
"Concert des Wiener akademischen Wagner=Vereines.
     Vorgestern fand in der Musikhalle das Concert des Wiener akademischen Wagner=Vereines statt. Die Novität desselben [... Hugo Wolf, zwar Lob für die Lieder, das "Fest auf Solhaug" aber eine "Verirrung", vernichtende Kritik ... der Wagner-Verein dürfe nicht zur Wolfsschlucht werden (auch Brahms wäre aufführbar) ...]
     Schade [...]. Im Uebrigen war das Programm prächtig gewählt und ausgezeichnet aufgeführt. Ein ganz besonderes Labsal bot unmittelbar nach Wolf die Aufführung der herrlichen romantischen Symphonie (in Es-dur) von Anton Bruckner. Unsere Empfindung, daß dieses wunderschöne Werk unter den bedeutenden und großartigen Symphonien Bruckners doch das vollendetste sei, ist uns neuerdings zur vollsten Ueberzeugung geworden. Die reichste Phantasie hat hier die allerschönste Form gefunden, es ist ein Meisterwerk, würdig, neben den Beethoven'schen Symphonien geschaffen geworden zu sein und aufgeführt zu werden. Etwas so Herrliches wie den ersten Satz der Bruckner'schen Es-dur-Symphonie hat die moderne symphonische Kunst nach Beethoven kaum noch hervorgebracht. Der Reichthum in der melodischen Erfindung und in der harmonischen Modulirung ist eben so bewunderungswürdig wie die berauschende Klangfarbe des Orchesters. [... kurz auch zu den anderen Sätzen ...] Ein Jubel seltenster Art durchbrauste nach jedem Satze den Saal, der gefeierte Meister mußte sich ungezählte Male dankend vor dem aufs höchste begeisterten Publicum verneigen, und nach dem letzten Satze ruhte der stürmische Beifall nicht eher, bis das Orchester mit einem Tusch den Triumph Bruckners mitfeierte und krönte.
     Herr Joseph Schalk, der künstlerische Leiter des Wiener akademischen Wagner=Vereines, hat die Bruckner'sche Symphonie auswendig aus dem Gedächtnisse dirigirt. Er hat mit ruhiger Klarheit das Ganze geleitet und mit Wärme und inniger Hingabe jede Einzelheit in das schönste Licht gestellt. Schalk hat seinen redlichen Antheil an dem Triumphe Bruckners, an dem auch das Ausstellungs=Orchester, welches unübertrefflich spielte, gerechter Weise participiren darf.
     Mit dem Richard Wagner'schen Huldigungsmarsche eröffnete, mit dem "Wach' auf!", Chor aus den "Meistersingern", schloß dieses interessante Concert, dem noch überdies in sein Programm das Liszt'sche "Gaudeamus" eingewoben war.
                          dr. h. p." (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189206175, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189206175
letzte Änderung: Mai 14, 2024, 8:08