zurück 20.11.1892, Sonntag ID: 189211205

Artikel von Josef Stolzing über den 150. Psalm in der Ostdeutschen Rundschau Nr. 47 auf S. 7:
"               Concerte.
     Erstes Gesellschafts-Concert
               am 13. d. M.
     Die neue Richtung der Musik scheint sich doch in Wien Bahn brechen zu wollen, denn die durch und durch conservative Gesellschaft der Musikfreunde bringt von Zeit zu Zeit bereits Tonschöpfungen von Meistern wie Wagner, Liszt, Bruckner, Berlioz, Richard Strauß u. A. [... Schubert: flüchtige Arbeit ...]
     Dagegen boten uns reichlichste Entschädigung: Bruckner's "Psalm" für Solo, Chor und Orchester, Franz Liszt's "Clavier=Concert" in es-dur und Richard Strauß' "Wanderers Sturmlied" für Chor und Orchester.
     Meister Bruckner hat uns in diesem Psalm wieder eine herrliche Schöpfung seiner Muse geschenkt. Ursprünglich war festgesetzt, daß die internationale Theater= und Musik=Ausstellung, seligen Angedenkens, mit diesem Psalm eröffnet werden sollte. Leider – oder besser: Gott sei Dank! – wurde Bruckner nicht rechtzeitig fertig, daher konnte der Psalm erst jetzt aufgeführt werden. In gewaltigster Klangfülle in C-dur beginnt der Psalm, um später in die geheimnißvoll mystische Tonart des "Parsifal", in As-dur, überzugehen. Die Steigerung ist eine gewaltige bis zum Schluße hin, leider zeigte sich der Singverein der an ihn gestellten Aufgabe nicht gewachsen. Das Fortissimo des Orchesters verdeckte beinahe ganz die Stimmen. Wie angezeigt wäre die Tieflegung des Orchesters für solche Werke selbst im Concertsaale, oder wenigstens würde sich eine bessere Vertheilung der verschiedenen Orchestergruppen empfehlen. Wagner hat bei der von ihm veranstalteten Aufführung der neunten Symphonie die Sänger um das Orchester gruppirt, wodurch eine Erdrückung des Gesanges durch die Musik unmöglich gemacht wurde. Diese Anordnung wäre zur Nachahmung zu empfehlen. Bruckner's neueste Composition fand begeisterte Aufnahme und die kritischen Glossen des Herrn Hofrathes können höchstens die Lachmuskeln erregen. Bruckner's Muse sei die Extase, heißt es zum Beispiel; dann findet Hanslick widerhaarige, chromatische Gänge u. s. w. Wir empfinden für diesen Kritiker nur lebhaftes Bedauern, aber ernstkönnen wir seine satyrischen Hiebe nicht nehmen. In seinem Kampfe gegen Wagner, Liszt und Bruckner gleicht er ganz dem alten, häßlichen Beckmesser, der gegen Walther v. Stolzing geifert. Hanslick ist der Alberich der Wiener jüdischen Recensenten, die Anderen sind harmlose Mime's.
     [... Richard Strauss ... Adele aus der Ohe ...]
                              Josef Stolzing." (*).

Eine Kritik über dieses Konzert vom 13.11.1892 erscheint auch in der Deutschen Kunst- und Musik-Zeitung XIX Nr. 33 auf der ersten Seite, signiert "E.":
"                  Das erste Gesellschaftsconcert
hat am 13. d. M. eine Woche nach dem ersten philharmonischen Concerte, stattgefunden. [... Schubert-Ouvertüre, in der Rossini nachgeahmt wird ...]
Aber diese Nachahmung betrifft blos äußere Dinge; im Inneren ist die Ouverture ein Schubert'sches werk, sowohl was die musikalischen Gedanken, als was die Instrumentirung betrifft. Schubert hatte eben seine eigene Sprache. Nach der Ouverture wurde ein Psalm von Anton Bruckner aufgeführt. Wie man dem Concertprogramme entnehmen konnte, hat dieser Psalm schon seine Geschichte. Er war für die Eröffnung der Internationalen Ausstellung für Musik= und Theaterwesen bestimmt und, wenn wir nicht irren, geradezu bestellt. Das war jedenfalls eine gute und schöne Idee und für diesen Zweck war auch die Wahl des Textes – es ist der 150. Psalm – eine glückliche. Vielleicht war aber die Bestellung zu spät erfolgt, oder es trat sonst ein Hindernis ein; der Psalm wurde nicht zur Zeit fertig und die Ausstellung wurde ohne ihn eröffnet. Dann wurde der Psalm in das Programm der Tonkünstlerversammlung aufgenommen, die der Allgemeine deutsche Musikverein heuer bei Gelegenheit der Ausstellung zum erstenmale in Wien abzuhalten beschlosssen hatte. Da kamen die bösen Choleranachrichten aus Hamburg und aus anderen deutschen Städten und die Tonkünstlerversammlung wurde abgesagt. So kam der Psalm endlich aufs Programm des ersten Gesellschaftsconcertes, welches alles wieder gut gemacht hat, so weit es noch möglich war. Denn die Aufführung des Psalmes war eine vortreffliche. Ueber den Psalm selbst ist nicht viel zu sagen; er ist ein Werk von Bruckner, und so beschaffen, wie alle Bruckner'schen Werke. Nach einem glänzenden Anlaufe, der aber weder neu, noch musikalisch hervorragend ist, tritt Unsicherheit, Zerfahrenheit ein und diese bleiben auch der Schlußfuge treu. Natürlich hat der Psalm großen Beifall gefunden; gleichwohl schien es, daß die Schaar der begeistertsten Anhänger Bruckner's den Gesellschaftsconcerten nicht hold ist. [... über Liszts Klavierkonzert, Richard Strauss' "Wanderers Sturmlied" und das Finale von Mendelssohns] "Loreley", in dem Frl. Standhartner die Solopartie sang. Alles Lob verdienen die Leistungen des Singvereines in den Chorwerken dieses Concertes. Der Chor klang immer frisch, schön und kräftig, alles kam deutlich und verständnisvoll heraus und behauptete sich energisch und selbständig neben dem Orchesterklange. Das will bei schweren Stücken, wie Bruckner's Psalm und Straußens "Sturmlied", viel sagen.
     E." (**).

Der Bericht der Linzer Zeitung auf S. 1494 zitiert aus Paumgartners Besprechung [vom 18.11.1892]:
     " * (Der 150. Psalm von Anton Bruckner.) Doctor Hans Paumgarten [sic] schreibt in der "Wiener Abendpost": Das erste Gesellschaftsconcert hatte zwei Novitäten in sein Programm aufgeommen: den 150. Psalm von Anton Bruckner und "Wanderers Sturmlied" von Richard Strauß. Alle Achtung vor Bruckner, vor allem vor seinen Symphonie in Es- und E-dur, diesen großartig-kühnen Tongedichten. Allein sein 150. Psalm hat uns gar keine Freude gemacht. Dieser ist vor allem zu unnatürlich, geschraubt ohne innere Ursache. Dieses ewige äußerlich-effectvolle Hinaufschrauben der Singstimmen, besonders der Soprane, in die höchsten Lagen wirkt befremdend, man fragt erstaunt, warum das alles so sein muß. Vielleicht will sich Bruckner dramatisch aussprechen, uuns erschien das Ganze mehr opernhaft. Das kurze Sopransolo, von einer Solovioline äußerst befremdend vorbereitet, ist wohl das Unsanglichste, was man hören kann. Wenn Beethoven im dithyrambischen Fluge seiner Neunten die Stimmen über alle Grenzen hinaus jubeln läßt, so ist dies der Ausfluß und äußere Ausdruck eines ungeheuren inneren Lebens im Künstler. Bruckner jedoch ist nur unsanglich und unschön. Der Bruckner'sche Psalm fand bei den zahlreichen persönlichen Freunden des Componisten begeisterte Aufnahme. Wir können uns bei aller Verehrung für Bruckner diesem Parteitreiben nicht anschließen ." (***).

(2. Philharmonisches Konzert unter Hans Richter mit Werken von Fibich, Lalo und Beethoven (4. Sinfonie) (°)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189211205, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189211205
letzte Änderung: Mai 14, 2024, 8:08