zurück 19.11.1892, Samstag ID: 189211195

Kritik des 150. Psalms von Robert Hirschfeld in der »Presse« Nr. 321 auf S. 1f:
»             Concerte. Die neue "Spielzeit" pflegen voreilige Pianisten, welche das Publicum mit Macht zur Sammlung rufen, bei uns einzuleiten. [... diesmal die Philharmoniker ...] . . . Neues, aber in sehr bunter Reihe, brachte auch das erste Gesellschafts=Concert. [... Schubert-Ouverture ...] Das Mischprogramm des Gesellschaftsconcerts fuhr mit dem Donner eines Bruckner'schen Hallelujah gegen diese liebliche Ouvertüre, verscheuchte den Glanz des Liszt'schen Es-Dur-Concerts durch die Sturmharmonien des neudeutschen Richard Strauß, worauf uns sofort Mendelssohn'sche Opernmusik als dissonanzstillendes Mittel eingegeben wurde. Bruckner's 150. Psalm war als Eröffnungs=Cantate für die Ausstellung bestimmt. Man hatte sehr passend diesen hehren Psalm gewählt, der neben dem grandiosen Lobruf den poetischen Katalog einer althebräischen Instrumentensammlung in sich birgt. Das Genie läßt sich schwer an Termine binden. Bruckner's Chorwerk war zum Eröffnungstage nicht vollendet; das Musikkfest der deutschen Tonkünstler, welchem der Psalm präludiren sollte, wurde abgesagt; für den Schluß der Ausstellung wollte wahrscheinlich das siegfreudige Hallelujah nicht passen. So fand der Psalm erst im Gesellschafts=Concerte eine würdige Stätte. Grandioses Auffassen und Anfassen, machtvolles Aufstürmen auf der Jubelleiter der Tongefühle; weit ausgreifende Gedanken, wie das von erhabenen gregorianischen Intonationsweisen abgeleitete Hallelujah oder das urkräftige Octavenmotiv der Schlußfuge; Klangfülle und Reichthum an Combinationen – wer hätte Anderes von Bruckner erwartet? Leider durchbricht aber der Meister im Aufwallen seines Kraftgefühls mit einem unmöglichen Chorsatz die Schranken auch der freiesten Stylgesetze. [... Chorsatz an menschliche Stimme gebunden, Orchester hat mehr Freiheiten ...] Herrlich hebt der Psalmgesang Bruckner's an, kaum holt jedoch der Text die Psalter, Harfen, die Pauken, Saiten, Pfeifen und Cymbeln zum Lobe des Höchsten herbei, da vergißt Bruckner die Forderungen der Vocalkunst; er stürmt über alle musikalische Denkgesetze ins Grenzenlose. Angesichts der fast unübersteiglichen Schwierigkeiten in der ausartenden Stimmführung hat der tüchtige Singverein unter Gericke's Leitung wirklich Bewundernswerthes geleistet. [... Richard Strauss, Mendelssohn ... Lob für Frl.Standtharttner ...] Auch mit dem fragmentarischen Sopran=Solo des Bruckner=Psalms war die stets hilfsbereite und dank ihrer musikalischen Natur immer singbereite Künstlerin in anerkennenswerthem Eifer für eine Dame eingetreten, welche gern kurz vor der Generalprobe durch Unwohlsein sich von den übernommenen künstlerischen Verpflichtungen löst. . . . . [... Liszt, Adele aus der Ohe ... Rosa Hochmann ... Reisenauer ("überhand"nehmende Körperfülle) ...] Dr. Rob. Hirschfeld.«.


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189211195, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189211195
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11