zurück 30.10.1893, Montag ID: 189310305

Schrötter macht mittags einen Krankenbesuch bei Bruckner. Die Universitätsvorlesung fällt aus (*).
Bruckner litt Anfang November an starker Atemnot (**).

Die Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 44 bringt auf S. 2f eine mit »H. W.« [Hans Woerz] signierte Kritik des Konzerts vom 8.10.1893 (mit »Helgoland«):
"                             Musik.
           (Festconcert=Nachklänge. – Hofoperntheater.)
     H. W. Nach mehrwöchentlicher Unterbrechung kommt heute wieder einmal der Musikreferent zu Worte. [... über die Stellung des Männerchorwesens und der am 8. Oktober gespielten Werke ... darunter vier Erstaufführungen ...] Von diesen Vier hat der einzige Kremser mit seiner anspruchslosen, melodiösen Mondscheinlyrik das Richtige getroffen, womit übrigens keineswegs gesagt sein soll, daß nur solche Lyrik für dieses Concert passend gewesen wäre. Auch ein düsteres Nordseestück, ein Sturmgemälde, die Verherrlichung des Gesangs oder des Todes für's Vaterland, überhaupt volksthümliche deutsche Lieder hätten wir freudig willkommen geheißen; es mußte nur in  entsprechender Form geboten werden.[... Gernsheim (ohne Aussage und Erhabenheit, uninteressant), Max Bruch (besser, aber zu lang, ohne Publikumsresonanz) ... warum kein Stoff aus der österreichischen Geschichte? ...] Vielleicht wäre Bruckner mit einem solchen Thema glücklicher gewesen als mit dem von A. Silberstein in schwer lesbare Verse gebrachten "Helgoland", wo die Flotte der römischen Welteroberer vom Meeressturm vernichtet wird. Vielleicht glücklicher mit dem poetischen und musikalischen Sujet, die Sänger aber hätte er aller Wahrscheinlichkeit nach darum noch nicht glücklicher gemacht. Es ist haarsträubend, in welche Wahnvorstellungen von dem Berufe und den Wirkungen der Menschenstimme Bruckner sich eingelebt hat. In unserer Gesellschaft sprach ein sonst ganz normal organisirter junger Mann gelassen das große Wort aus: "Das größte Vergnügen ist der Schmerz"; an jenes Dictum erinnert uns wieder einmal Dr. Bruckner in seinem "Helgoland", denn er verkündet darin als Heilsbotshaft: "die höchste Kunst ist das Gequälte", und fügt den Quälereien der Menschenstimme sofort jene der Harmonie hinzu. Daß bei solcher Procedur das schmerzsüchtige Ohr des Zuhörers in Wonne schwelgen mußte, versteht sich von selbst und schließlich war das Publicum halbtodt vor "Kunstgenuß" und vor Ermüdung durch die fast endlose Monotonie des Männerchorgesanges. Wir aber mußten hier Act nehmen vor dieser neuesten und solennen Bestätigung der so oft gepredigten Wahrheit, daß gerade die vornehmsten, musikalische tüchtigsten Männergesangvereine bei dem Versuche, wirklich bedeutsame Concertprogramme aufzustellen, immer tiefer in unüberwindliche Schwierigkeiten gerathen.
     Erfreulicher sind die Eindrücke, die man seit einigen Wochen – Dank dem Zusammenwirken gehörig disciplinirter und zum Theile neu erworbener Kräfte – von der Thätigkeit unseres Hofoperntheaters empfängt. [...]" (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189310305, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189310305
letzte Änderung: Aug 02, 2023, 12:12