Artikel von Theodor Helm in der Deutschen Zeitung Nr. 7972 auf S. 1f. Demnach werde die 2. Symphonie nicht in den Philharmonischen Konzerten, sondern vom Wiener Akademischen Wagner-Verein [15.4.1894?] aufgeführt.
" Concerte.
(Anton Bruckner und die Philharmoniker. – Clavier= und Gesangsconcerte.)
Das siebente philharmonische Concert [... über dieses Konzert ...].
Nun wir der Meisterschaft der Philharmoniker den schuldigen Tribut abgestattet, haben wir aber mit den Herren leider ein Hühnchen zu pflücken. Das soeben veröffentlichte Programm des für heuer letzten philhharmonischen Concertes bestätigt unsere Befürchtung, daß Bruckner's bei Ankündigung des Cyklus versprochene zweite Symphonie, nachdem man ihre Aufführung von Concert zu Concert verschoben, überhaupt heuer nicht mehr in diesen Concerten gespielt werden wird. Hierin liegt eine doppelte Rücksichtslosigkeit: erstlich gegen den Componisten, zweitens gegen jenen Theil der philharmonischen Abonnenten, welche sich vielleicht gerade am meisten für die genannte Bruckner'sche Symphonie interessiren und ein Recht darauf haben, die genaue Einhaltung eines verher bestimmten Programms zu verlangen. Man sucht den gerechten Unwillen der Verehrer Bruckner's damit zu beschwichtigen, die in Rede stehende Symphonie werde ja heuer doch noch von den Philharmonikern unter Hans Richter's Leitung gespielt werden. Zwar nicht in einem philharmonischen Concert, wohl aber in einer großen Musikaufführung des Wiener akademischen Wagner=Vereines, die noch dadurch ein besonderes Interesse erhält, daß bei dieser Gelegenheit der Sohn Richard Wagner's und Enkel Franz Liszt's, Herr Siegfried Wagner aus Bayreuth, sich den Wienern als Dirigent von Werken seines Vaters und Großvaters vorstellen wird.
Alle Ehre dem wackeren Wiener Wagner=Verein, daß er, der wahre Bahnbrecher und unermüdliche Vorkämpfer für Bruckner's Größe, selbst in einem derartigen Sensationsconcert, welches auch ohne die großartige Bruckner'sche Symphonie auf den stärksten Besuch zählen könnte, des greisen Meisters nicht vergißt. Hiermit wird aber der Wortbruch der Philharmoniker nicht entschuldigt. Für so engherzig und feig halten wir die Herren – und namentlich ihren ausgezeichneten Dirigenten – nicht, daß sie etwa, um das Stirnrunzeln des gewissen Kritikpascha zu ersparen, nachträglich die Bruckner'sche Symphonie von dem Programm abgesetzt hätten. Sie konnten eben – aus Bequemlichkeit (das mildeste Wort!) – die Zeit für die zur Aufführung eines so schwierigen Werkes erforderlichen Proben nicht finden. Bei alledem bleibt der Name Anton Bruckner heuer in den philharmonischen Concerten gänzlich unvertreten, während ebendaselbst der jenem in Wien einzig ebenbürtige Name Johannes Brahms (das nächste Concert eingerechnet) dreimal auf dem Zettel erscheint!!
Was wird man zu diesem parteilichen Vorgehen in Berlin sagen, wo man vor Kurzem erst den Symphoniker und Kirchencomponisten Bruckner so stürmisch bejubelte?! Fürwahr ein netter Gegensatz: das Publicum und die Musiker der deutschen Reichshauptstadt dem größten in Oesterreich geborenene lebenden Tondichter die höchsten Ehren darbringend, die erste Orchestergesellschaft Oesterreich=Ungarns für eben denselben vaterländischen Meister "keine Zeit findend". Für Bruckner selbst erwächst übrigens aus der Verlegung seiner zweiten Symphonie von einem philharmonischen in ein Wagner=Vereins=Concert der nicht zu unterschätzende Vortheil, daß das geniale Werk dort voraussichtlich weit mehr Aufmerksamkeit und Verständniß begegenen wird, als bei dem großentheils nur um der Mode willen erscheinenden Publicum der Philharmoniker. Wenden wir uns jetzt nach dieser gewiß nicht unberechtigten "Entrüstungs=Kundgebung" Erfreulicherem zu. [... über Klavier- und Liederabende ...].
Theodor Helm." (*).
Kalendernotiz Bruckners:
»9. März 1894. Fußnägel beschnitten.« (**).
Zitierhinweis:
Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189403095, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189403095letzte Änderung: Jun 11, 2023, 12:12