zurück 23.7.1894, Montag ID: 189407235

Artikel »Bruckner in Linz« (signiert »Elimar« = Theodor Altwirth) in der Linzer Montagspost Nr. 30 auf S. 1-3:
„            Bruckner in Linz.
    
Bruckners erster längerer Aufenthalt in Linz fällt in das Jahr 1840. In diesem Jahre besuchte der damals 16jährige Bruckner den Präparandencurs in Linz und absolvierte denselben mit vorzüglichem Erfolge. Nur im Orgelspiel bekam er blos die Note „gut“ – eine Classificierung, für welche ihm der betreffende Lehrer vier Jahre später feierliche Abbitte leistete, als Bruckner bei einem Orgelconcurse in welchem er das Lehrerzeugnis gewann, ein Thema von Preindl contrapunktisch bearbeitete.
     Als Schulgehilfe und Unterlehrer wirkte nun Bruckner an verschiedenen Orten Oberösterreichs, bis er im Jahre 1851 als Stiftsorganist nach St. Florian berufen wurde.
     Dort hörte er eines Tages, es war im Jahre 1855, daß in der Linzer Domkirche das Probespiel für die Besetzung der Domorganistenstelle stattfände. Er ging nach Linz und stellte sich am Tage des Probespieles in das Schiff der Domkirche, um zuzuhören. Da ihm jede Protection fehlte, konnte er ja nicht hoffen, zum Concurse zugelassen zu werden. Als alle Zugelassenen in der Bearbeitung eines aufgegebenen Themas umsonst sich abmühten, rief man Bruckner, er möge es probieren; ihm gelang es nun in so überraschender und unerhörter Weise, daß einer der Anwesenden zu Bruckner meinte: „Du bist der Tod aller!“ Die Folge dieses seines glänzenden Orgelspieles war, daß Bruckner noch im Jahre 1855 die Domorganistenstelle in Linz erhielt, welche er bis zu seiner im Jahre 1868 erfolgten Berufung nach Wien als Nachfolger seines berühmten Lehrers Sechter, bekleidete.
     Am 8. December 1855 spielte Bruckner zum erstenmale beim Hochamte in Linz und in der Mette der heiligen Nacht desselben Jahres leistete er seinen ersten Dienst in der Domkirche. Die ersten Jahre seines Aufenthaltes in Linz widmete Bruckner mit rastlosem nie ermüdendem Eifer dem Studium der Musiktheorie. Bis zum Jahre 1861 gieng Bruckner alljährlich, gewöhnlich zweimal, auf sieben bis acht Wochen nach Wien, um bei Professor Sechter Studien zu machen und sich einer Prüfung zu unterziehen.
     Im Jahre 1861 legte Bruckner in Wien vor einer kritischen Prüfungscommission (Sechter, Dessoff und Herbeck) eine Maturitätsprüfung über Orgelspiel, Harmonielehre und Contrapunkt mit glänzendem Erfolge ab, bei welcher Gelegenheit er die Aufmerksamkeit Herbecks erregte, der dann später Bruckners Berufung nach Wien durchsetzte. In Linz widmete sich Bruckner außer seinen Berufspflichten als Domorganist in seiner Eigenschaft als Chormeister der Liedertafel „Frohsinn“, auch der Pflege des Männergesanges.
     Als Chormeister der Liedertafel errang er an der Spitze seiner Sängerschar bei dem großen deutschen Sängerfeste in Nürnberg einen großartigen Erfolg, als er den Kükenschen Chor „Wachet auf“ meisterhaft dirigierte. Der anwesende Herbeck fiel ihm damals in seiner Begeisterung um den Hals. In den Jahren 1861 bis 1863 studierte Bruckner bei Otto Kitzler aus Leipzig, welcher damals Kapellmeister in Linz war, praktische Composition. Ausserdem [sic] gab er Unterricht im Clavierspielen.
     Zu Beginn der Sechzigerjahre trat nun Bruckner, welcher schon als Landschullehrer Lieder, Motetten, Psalmen, dann eine Messe und sogar ein Requieum [sic] componiert hatte, in seine eigentliche Compositionszeit.
     Bei dem anläßlich des Linzer Volksfestes 1862 [sic] veranstalteten oberösterreichischen Sängerfeste erwarb Bruckner mit seiner Composition „Germanenzug“ den zweiten Preis. Dieser herrliche Chor von gewaltiger Kraft und glänzender, wahrhaft blendender Farbenpracht, ist seit jenen Tagen in Linz und in anderen Orten oftmals erklungen und zählt zu den großartigsten und wirkungsvollsten Chorgesängen, welche die moderne Musikliteratur aufweist.
     Am 20. November 1864 feiert Bruckner seinen ersten großen Triumph als Kirchencomponist mit der Aufführung seiner ersten Messe in der Linzer Domkirche, von welcher Bischof Rudigier gestand, die Musik hätte ihn so sehr gefesselt, daß er während ihres Erklingens nicht gebetet habe.
     In diesem Jahre machte Bruckner die für ihn so bedeutungsreiche Reise nach München zur Aufführung von Wagners „Tristan und Isolde“. Damals lernte er Wagner und Bülow kennen und gewann die vollsten Sympathien des ersteren.
     Wie hoch Meister Richard Wagner unsern Landsmann schätzte, beweist, daß er ihm zu einem Concerte der Liedertafel „Frohsinn“ die noch unveröffentlichte Schlußscene der „Meistersinger“ eigens überließ. Wie überwältigend die Aufführung dieses Musikstückes gewesen ist, mag der Umstand zeigen, daß dasselbe allsogleich wiederholt werden mußte.
     In den Jahren 1865 und 1866 entstand in Linz Bruckners erste Symphonie, ein bewunderungswürdiges gigantisches Werk, das bei seiner ersten Aufführung durch die Philharmoniker in Wien im December 1891 einen großartigen Erfolg erzielte. Ueber das Adagio dieses Tonwerkes schrieb nach dieser Aufführung der bekannte Musikkritiker Theodor Helm: „Das gehört zu den [sic] Ergreifendsten, was uns je auf dem Gebiete der Instrumemtalmusik begegnete, – der Gesammteindruck namentlich des überirdischen Schlusses war doch: ein tieferes, bedeutenderes Adagio ist seit Beethoven nicht geschrieben worden. Der 14. April 1866, an welchem, wie die handschriftliche Partitur verräth, dieser Theil der Symphonie von Bruckner vollendet wurde, sollte mit goldenen Lettern dereinst in seiner Biographie und ins Buch der Kunstgeschichte eingetragen werden.“ Die erste Aufführung dieser Symphonie fand unter des Componisten Leitung im Jahre 1868 im landschaftlichen Redoutensaale in Linz statt.
     In dieser Zeit entstand auch die dem Bischofe Rudigier zur Einweihung der Votivkapelle des neuen Domes gewidmete zweite Messe in E, welche am 29. September 1869 bei ihrer ersten Aufführung einen sensationellen Erfolg erzielte.
     Die dritte Messe Bruckners folgte im Winter von 1867 auf 1868. Ueber dieses Werk, welches im vorigen Jahre vom akademischen Gesangsvereine in Wien mit außerordentlichem Erfolge aufgeführt wurde, schrieb Helm folgendes: „Man steht bei dem Anhören dieser Messe vom Anfang bis zum Ende unter dem Banne der Empfindung, daß nur das tiefste Durchdrungensein von der hehren Aufgabe, und zugleich ein intimes Herzensbedürfnis diese Musik schreiben konnte.“ Und so ist es auch: Bruckner hat uns in seiner F-moll=Messe micht mir ein außerordentliches Kunstwerk, sondern auch ein ergreifendes Stück seiner eigenen Lebensgeschichte gegeben.
     Haben wir es doch aus dem Munde des Meisters selbst gehört, daß bevor er diese Messe schrieb – an der Jahreswende von 1867 auf 1868 war es – er vielleicht infolge künstlerischer Enttäuschungen oder im Kampfe mit widrigen Alltagssorgen auf ein Haar dem Irrsinne vertfallen wäre! Da klammerte er sich wie an einen letzten Nothanker an die Composition der F-moll=Messe, schrieb zu Weihnachten in einem Zuge das „Benedictus“ und hatte sich mit diesem herzinnigen Stücke zum Lobe des Herrn, von seinen düsteren Wahnvorstellungen befreit, geistig wiedergefunden.
     Alle diese Tonschöpfungen sind in Linz entstanden und vollendet, und durch sie ist der Mann der Landeshauptstadt Linz mit unvergänglicher Schrift in die Blätter der Kunst= und Musikgeschichte eingetragen worden.
     Im Jahre 1868 [sic] errang unser Landsmann als Orgelspieler bei den internationalen Wettbewerben in Nancy und Paris wie auch später in London erste Preise; überall wurde Bruckner’s Weltmeisterschaft auf der Orgel anerkannt.
     Das Jahr 1868 brachte die Berufung Bruckners nach Wien. An Stelle seines verstorbenen Lehrers Sechter wurde er Professor der Harmonielehre und des Contrapunktes am Conservatorium und durch Herbecks Verwendung Hoforganist. So zog der große Meister den Weg die Donau hinab in die große Musikstadt Wien, denselben Weg, den einst Mozart und Beethoven gezogen sind.
     In Wien begann für Bruckner eine lange, schwere Zeit des Ringens und Kämpfens um Anerkennung und Würdigung seiner Werke. Die Aufführungen seiner Werke brachten ihm geringen äußeren Erfolg. Die Kritik wußte nicht, wohin sie ihn „placieren“, was sie demgemäß mit ihm anfangen sollte. Anton Bruckner ließ sich aber weder durch die Verlegenheit und Böswilligkeit der Kritik noch durch die Theilnahmslosigkeit des Publicums ernüchtern, er folgte dem innersten Bedürfnisse und unwiderstehlichem [sic] Drange seines Künstlerherzens und schuf eine Symphonie nach der andern.
     In Urlaubszeiten kam er aber immer wieder in sein geliebtes Oberösterreich, insbesondere nach Linz, Steyr und St. Florian und arbeitete an seinen großen Meisterwerken. Fast alljährlich spielte er an den großen Feiertagen zu Ostern oder zu Pfingsten in der alten Domkirche zu Linz die Orgel und am 28. August in der Stiftskirche zu St. Florian die berühmte Florianer Orgel, der er schon als junger Schulgehilfe so herrliche Töne entlockt hatte. Die Kunde von Bruckners Orgelconcerten veranlaßte jedes Jahr Scharen von kunstbegeisterten Pilgern zur Wallfahrt nach St. Florian.
     In allen seinen Werken zeigt sich Bruckner als echter und treuer Sohn seines Oberösterreich. Recht anziehend weist dies Theodor Helm in seiner Besprechung der im December 1890 von den Philharmonikern in Wien aufgeführten III. Symphonie Bruckners in D-moll nach; [sic] indem er über das Scherzo derselben schreibt:
     „Der formell abgerundetste, architektonisch übersichtlichste, am meisten den herkömmlichen symphonischen Begriffen entsprechende Satz ist das Scherzo. Geistig eine Art im großen Style gedachte ideale Tanzscene. Wenn man den Hauptsatz des Scherzo etwa „Ernster Reigern“ überberschreiben [sic] und dabei an ein mittelalteriches Turnei [sic] denken könnte, in welchem gewappnete Ritter kühn die Kräfte messen, schöne Damen ihnen ermuthigend zuwinken, immer heißerer Streit entbrennt, bis endlich der glückliche Sieger laut aufjauchzend seinen Triumph der Welt verkündet, so führt uns das Trio in die Gegenwart und zugleich in die dichterische Heimat Anzengrubers, Oberösterreich. Alles singt und klingt, trillert und schwirret hier von ländlicher Tanz= und Lebenslust. Mit einer gewissen behäbigen Würde schwingt der oberösterreichische Bauer (der bei Bruckner unvermuthet immer irgendwo auftaucht) seinen blonden Schatz in [sic] Arm, andere liebende Paare drehen sich um die beiden, lustige Gesellen springen über die Scene, jubilieren, treiben allerlei Kurzweil, in den Zweigen zwitscherts, erfrischende Lüfte wehen; wahrhaftig, es ist ein köstliches Stück deutschen Volks= und Naturlebens, das unser Bruckner, der ja selbst aus der Mitte des Volkes hervorgieng, hier in Tönen zu schildern wußte.“ Anläßlich der Aufführung der IV. Symphonie des Meisters erzählte der bekannte Wiener Kritiker Ludwig Speidel im Wiener Fremdenblatte [7.4.1888] Folgendes. „In einer Gesellschaft von Freunden wurde Bruckner aufgefordert, das Programm seiner Symphonie zu entwickeln, was er dann mit jener Mischung von Ernst und Schalkhaftigkeit, die in seinem Wesen liegt, auch sofort that. ‚Im ersten Satze,‘ sagte Bruckner, ‚wird von der Linzer Stadtkirche das neue Jahr angeblasen. Im zweiten will ein verliebter Bursch fensterln gehen, wird aber von dem Mädchen nicht eingelassen. Der dritte stellt eine Hasenjagd vor, und im vierten – ja, da weiß ich selbst nicht mehr, was ich dabei gedacht habe – ‘ "
     Allmählich gewann Bruckner immer größere Scharen von Anhängern, bis endlich Mitte der Achtziger Jahre seine Symphonien in Müncehn, Hamburg, Berlin, Dresden und in anderen Orten ungeheuren Beifall errangen. Sein herrliches „Tedeum“, welches bald die Runde durch alle größeren Städte Deutschlands machte, wurde in Linz im neuen Dome aufgeführt, wobei der Meister präludierte. Das von Andacht und Gottergebenheit getragene Orgelspiel Bruckners, wie das von der Liedertafel interpretierte imposante Werk des Meisters machte auf jeden Hörer einen gewaltigen unvergeßlichen Eindruck.
     Am 15. April 1886 wurde von der Liedertafel Frohsinn eine großartige Bruckner=Feier veranstaltet, bei welcher der Meister selbst zugegen war. Dem im Volksgartensalon abgehaltenen Concerte, in welchem das „Tedeum“, dann die Chöre „Germanenzug“ und „Um Mitternacht“, sowie das Adagio aus der D-moll-Symphonie zur Aufführung gelangen und begeisterte Aufnahme fanden, folgte ein Festcommers, in dessen Verlaufe Bruckner in seiner schlichten, innigen Weise den Veranstaltern und seiner lieben Heimat für die Ehrungen, die ihm zu Theil geworden, dankte. Er sagte unter Anderem Folgendes: „Der heutige Tag ist ein großer Tag. Mein heißgeliebtes Vaterland Oberösterreich hat sich heute meiner angenommen, es hat sich trotz der großen Erniedrigungen, die ich in drei großen Wiener Blättern erfuhr, meiner angenommen und hat heute mein „Tedeum“ in einer so ausgezeichneten Weise zur Aufführung gebracht, die ich nie vergessen werde.“
    Seither ist Bruckners Ruhm im Aufsteigen begriffen. In Deutschland werden seine Werke aufgeführt und auch in Wien wird der Kreis der begeisterten Verehrer des Meisters immer größer. Ueberall wo er zur Aufführung seiner Schöpfungen erscheint, wird ihm in stürmischer Weise gehuldigt. Vereine und Corporationen wetteifern, ihn zu ehren. Im Jahre 1891 wurde er – wie bekannt – zum Ehrendoctor der Universität Wien ernannt, eine Auszeichnung, welche die alte berühmte Hochschule noch keinem Tondichter zu Theil werden ließ.
     Aus diesem Anlasse veranstaltete der akademische Gesangsverein in Wien einen Festcommers, an dem der Rector der Universität Wien, Professor Exner, viele Professoren dieser Hochschule, Reichsraths=Abgeordnete, Künstler und Künstlerinnen sowie die gesammte deutschnationale Studentenschaft Wiens Theil nahmen. Mit unendlichem Jubel wurde der Meister bei seinem Kommen empfangen und unendlicher Jubel erbrauste als der Festredner ein Hoch auf den neuen Ehrendoctor, dem [sic] großen deutschen Meister Anton Bruckner ausbrachte. Großartig und gewaltig aber war der Augenblick, als der Trector sich erhob und, nachdem er die veredelnde Wirkung der Musik, welche er höher als die Wissenschaft stelle, betonte, Bruckner zurief:
     „Ich, der Rector der Universität Wien, beuge mich vor dem ehemaligen Schulgehilfen von Windhaag.“
     Den Ehrungen, die unserem Landsmanne zu Theil geworden, hat sich nun eine längst verdiente angeschlossen, indem die Hauptstadt seines engeren Heimatlandes ihn zum Ehrenbürger ernannte.            Elimar.


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189407235, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189407235
letzte Änderung: Nov 27, 2023, 9:09