zurück 30.8.1894, Donnerstag ID: 189408305

Der Steyrer Alpen-Bote Nr. 69 meldet auf S. 2, daß am 3.9.1894 ein »Ständchen« geplant sei, an dem sich die Steyrer Liedertafel, das »Kränzchen«, die Gesellschaft der Musikfreunde und die Musikkapelle des Bürgercorps beteiligen wollen:
"             Oertliches.
[...]
     (Zum 70. Geburtstage Bruckners.) Wie wir hören, werden am Montag den 3. September zu Ehren des in unseren Mauern weilenden berühmten Componisten Herrn Dr. Anton Bruckner die hiesigen musikalischen Vereine: "Steyrer Liedertafel", "Kränzchen" und "Gesellschaft der Musikfreunde" im Verein mit der Musikkapelle des unif. bewaffneten Bürgercorps ein Ständchen veranstalten und dem greisen Jubilar ihre Gratulation entgegenbringen. Am Dienstag den 4. September, als dem eigentlichen Festtage, wird eine Deputation der Stadtgemeinde=Vertretung mit dem Herrn Bürgermeister Redl an der Spitze Herrn Dr. Anton Bruckner die Glückwünsche der Stadt Steyr darbringen." (*).

Artikel »Dr. Anton Bruckner.«, signiert »F. B.« (Franz Bayer) mit einem Portrait [IKO 36] im Alpen-Boten Nr. 69 auf S. 1f:
"                Dr. Anton Bruckner.
 
   Die Züge eines Künstlerhauptes, schön, interessant und genial, zieren heute dieses Blatt, eines Künstlerhauptes, dessen Anblick das ganze Interese an der Person seines Trägers erweckt, und die vollste Ueberzeugung von dessen geistiger Größe und Bedeutung einflößt.
[Hier ist die Abbildung (IKO 36) eingefügt]
In Ruhm und Ehren oft genannt und wohl bekannt (denn Bruckner gehört mit seinem Wirken und Schaffen bereits der Musikgeschichte an), tönt heute der Name dieses Mannes anlässlich seines bevorstehenden 70. Geburtsfestes in aller Munde. Wir Oberösterreicher und speciell wir Steyrer, die wir jährlich diesen greisen Meister in unserer Stadt beherbergen, der mit Vorliebe bei uns wohnt, können diesen Tag nicht vorübergehen lassen, ohne desselben in ehrender Weise zu gedenken.
     Entsprossen der Ehe des Dorfschulmeisters Anton Bruckner mit Therese, geborenen Helm (aus Neuzeug gebürtig), ward unser Anton Bruckner am 4. September 1824 zu Ansfelden geboren. Charakter und Talent entwickelten sich bald, denn in den frühesten Kinderjahren finden wir Bruckner mit großen musikalischen Fähigkeiten ausgestattet. Den ersten Unterricht ertheilte ihm sein Vater. Leider raffte der Tod denselben zu früh hinweg, und so suchte der zwölfjährige verwaiste Anton Schutz im Stifte St. Florian, woselbst er auch als Sängerknabe aufgenommen wurde. Unterrichtet wurde hier derselbe im Clavier und der Violine von Gruber, einem Schüler des berühmten Quartettisten Schuppanzigh, und im Generalbass vom Schullehrer Bogner.
      Als Sängerknabe versuchte sich Bruckner schon im Componieren (1836–1840). Im Jahre 1840, also im 16. Lebensjahre, absolvierte er den zehnmonatlichen Präparanden=Curs in Linz. Seit erster Posten war in Windhag bei Freistadt (1841) mit zwei Gulden monatlicher Besoldung. In dieser dürftigen Stellung musste sich Bruckner, wie so viele Schulgehilfen von damals, um einen Nebenverdienst umsehen, der darin bestand, bei Bauernhochzeiten, Kirweihfesten [sic] u. s. w. oft die ganze Nacht um einen Zwanziger zu fiedeln. Trotz eines solchen kummervollen Lebens bildete sich Bruckner in der Hauptsache autodidactisch zu einem ausgezeichneten Contrapunktiker und vorzüglichen Organisten aus.
      In Windhag blieb er bis zum Jahre 1843, von wo er, und zwar, da er eine ihm aufgetragene Feldarbeit unterließ (!), strafweise (!!) nach Kronstorf bei Steyr versetzt wurde. Sowie in Windhag, so studirte Bruckner auch in Kronstorf rastlos Tag und Nacht Musik und componierte auch schon fleißig.
     Im Jahr 1845 machte er die Concurspüfung, welche glänzend ausfiel, und so wurde er als Lehrer und supplierender Stiftsorganist in St. Florian angestellt. In dieser Stellung bezog er jährlich 36 fl. und als Stifts=Organist jährlich 80 fl. Infolge dieser Erhöhung des Gehaltes war es Bruckner möglich, sich dem in Wien lebenden berühmten Theoretiker Simon Sechter, erstem Hoforganisten, und den Kapellmeistern Aßmayr und Preyer vorzustellen. In Gegenwart dieser drei Herren legte Bruckner ein contra¬punktistisches Examen mit ausgezeichnetem Erfolg ab. Noch größeren Erfolg erzielte er gelegentlich der Preisconcurrenz um die Domorganistentelle in Linz, wobei er auch siegte und daher diese Stelle mit 25. Jänner 1856 erhielt. Im Protokoll ddo. Linz 25. Jänner 1856, welches von den Prüfungs=Commissions=Mitgliedern aufgenommen wurde, ist über Bruckner folgendes gesagt: „Anton Bruckner wurde aufgefordert, ob er das von P— als zu schwer zurückgelegte Thema in C-minor übernehmen wolle, wozu er sich auch sogleich bereit erklärte, und dasselbe sowohl in einer strengen, kunstgerechten, vollständigen Fuge, als auch die ihm aufgelegte schwierigere Choralbegleitung mit so hervorragender Gewandtheit und Vollendung zum herrlichsten Genusse verarbeitet und ausgeführt hat, dass dessen ohnedies in der praktischen Behandlung der Orgel, wie nicht minder in seinen bekannten, sehr gediegenen Kirchenmusik=Compositionen bewährte Meisterschaft sich neuerlich mit aller Auszeichnung fest erprobte. Die Resultate dieser individuellen Leistungen haben sonach von selbst zu dem [sic] allseitig gleichen Erkenntnisse und zu dem ganz einhelligen Urtheile geführt, dass unter allen vorstehenden Concurrenten dem Anton Bruckner in vollster Gerechtigkeit entschieden nicht nur weitaus der Vorzug gebürt, sondern dass auch einzig nur Anton Bruckner auf Grund seiner langjährigen, sehr verdienstlichen, ebenso eifrigen Studien, als unermüdeten technischen Ausbildung als für diesen Beruf durchwegs vollkommen gewachsen und würdig erkannt werden kann."
     Wie schon in St. Florian, so componierte Bruckner in Linz Messen, Gradualen [sic], Offertorien und seine erste Symphonie. Von Linz aus reiste er wiederholt nach Wien zu dem Hoforganisten Sechter, um seine weitere Ausbildung im Contrapunkt zu suchen (1856-1861.) — Sechter erkannte dazumal schon den großen Geist Bruckners und äußerte zu wiederholtem Male, dass Bruckner sein würdigster Nachfolger sein werde.
     Im Jahre 1861 zeigten sich die Früchte des unermüdlichen Studiums, indem Bruckner in Gegenwart der Prüfungscommissäre Sechter, Herbeck, Dessoff, Hellmesberger und Schulrath Becker die Maturitätsprüfung im drei- und vierfachen Contrapunkte mit ausgezeichnetem Erfolg ablegte. Bruckner kehrte wieder nach Linz zurück und studierte dann von 1861—1863 bei Kapellmeister Otto Kitzler Composition. Mit der Domorganistenstelle vereinigte er die Stelle als Chormeister der Liedertafel „Frohsinn“ in Linz und manchen Sieg trug der Verein unter seiner Leitung davon. Zum oberösterreichisch=salzburgischen Sängerfeste in Linz (1862) [sic] schrieb er den imposanten Männerchor „Germanenzug“ und wurde derselbe, dirigiert vom Componisten selbst, mit wahrem Beifallssturm aufgenommen. 
     Das Jahr 1864 brachte seine erste Messe in D (welche im Jahre 1893 in der Stadtpfarrkirche zu Steyr in Anwesenheit des Componisten am Ostersonntage ausgeführt wurde) und seine erste Symphonie, und zwar im Musikvereinssaale zu Wien.
     Auf Hofkapellmeister Herbecks Veranlassung wurde Bruckner nach Sechters Tode 1867 an dessen Stelle als Hofkapellorganist und zugleich als Professor für Orgelspiel, Contrapunkt und Composition am Conservatorium nach Wien berufen und 1875 als Lector für dieselben Fächer an der Universität berufen. 1868 folgte seine zweite Messe in E, welche zur Einweihung des Linzer neuen Domes im Jahre 1869 aufgeführt wurde. — In demselben Jahre nahm Bruckner an dem Concurrenzspiel der Organisten in Nancy theil und gieng als Sieger hervor. - Nun feierte er wahre Triumphe in Paris in der Notre=Dame=Kirche in Brüssel und in verschiedenen größeren Städten als Orgelspieler. 1871 wurde er von Oesterreich zum internationalen Orgelwettstreit nach London entsendet und Bruckner errang den ersten Preis. Es war dies ein Wettstreit der Künstler aller Nationen auf der Riesenorgel im Kristallpalast. Nicht weniger als 11 Concerte gab Bruckner auf dieser Riesenorgel und der Beifall des Publicums steigerte sich von Concert zu Concert.
     1872 kam nun seine dritte Messe (F-moll, in der Augustinerkirche im selben Jahre zum erstenmal mindergut und vorigen Jahres in Wien vom akademischen Richard=Wagner=Verein ausgezeichnet aufgeführt) und seine zweite Symphonie, welche er noch in demselben Jahre bei den Philharmonikern einreichte. — Zur Schlussfeier der Weltausstellung (1873) gab Bruckner im Wiener Musikvereinssaal ein großes Orgelconcert, wobei er wieder als Organist glänzte. Zur gleichen Feier dirigierte er seine zweite Symphonie, welche mit wahrem Beifallssturm aufgenommen wurde und Hofkapellmeister Herbeck zu dem Ausspruche veranlasste: „Wenn Brahms in Stande wäre, eine solche Symphonie zu schreiben, dann würde der Saal demoliert vor Applaus."
     Trotz der großartigen Erfolge als Componist und Orgelspieler wussten es doch die vielen Gegner dahin zu bringen, die Brucknerschen Compositionen vom Repertoir zu verdrängen, und erst als von auswärts (wo 1884 und 1885 in Leipzig und München Bruckner so große Erfolge hatte) die Anerkennung des Genius unseres Landmannes gekommen, raffte man sich in Wien auf, um dann im Jahre 1891 die schon 1873 vollendete dritte Symphonie zur Aufführung zu bringen. — In diese Pause fällt inzwischen die Auszeichnung Bruckners mit dem Ritterkreuz des Franz=Josef=Ordens (1886).
      Bruckner hatte bis 1883 bereits sieben Symphonien geschrieben. Im Jahre 1891 wurde er zum Ehrendoctor der Philosophie der Wiener Universität ernannt, eine Auszeichnung, die von dieser Universität noch keinem Tonkünstler zutheil wurde. Bei dem Festcommers, welcher anlässlich dieser Ernennung am 13. December 1891 stattfand, hielt der Rector magnificus eine schwungvolle Rede, in welcher er unter anderem folgende Worte sprach: „Wo die Wissenschaft Halt machen muss, wo ihr unübersteigliche Schranken gesetzt sind, dort beginnt das Reich der Kunst, welche das auszudrücken vermag, was allem Wissen verschlossen bleibt. Ich, der Rector magnificus der Wiener Universität, beuge mich vor dem ehemaligen Unterlehrer von Windhag."
     1892 folgte Bruckners achte Symphonie, welche er Kaiser Franz Josef I. widmete. Die Widmung wurde angenommen und der Kaiser selbst ließ diese sowohl, wie die neubearbeitete dritte Symphonie in Druck legen. — Eine neunte Symphonie hat Bruckner in Arbeit.
     Hauptwerke Bruckners sind: Acht Symphonien, Nr. 1 und 2 in C-moll, Nr. 3 in D-moll, Nr. 4 in Es-dur, Nr. 5 in B-dur, Nr. 6 in A-dur, Nr. 7 in E-dur und Nr. 8 in C-moll, ein Te Deum, drei große Messen (in D, F und E), ein Requiem (D-moll), Psalmen und sonstige Kirchenmusik aller Art; ferners ein Streichquintett (F-dur). Außerdem hat Bruckner Männerchöre und andere kleinere Compositionen geschrieben. 
     So hätten wir denn den Lebenslauf eines Tonkünstlers in kurzen Zügen geschildert, welcher zu den bedeutendsten Componisten der Gegenwart gezählt werden darf und als hervorragendster Symphoniker würdig an die Seite Beethovens gestellt werden kann.
     Möge es unserm großen Meister gegönnt sein, noch einmal die volle Gesundheit zu erhalten, möge ihm sein 70. Geburtsfest ein Freudenfest sein, möge er die Wünsche erfüllt sehen, welche an diesem Tage von den Verehrern seines Genius ihm entgegengebracht werden.
                                           F. B." (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189408305, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189408305
letzte Änderung: Nov 22, 2023, 9:09