zurück 30.4.1896, Donnerstag ID: 189604305

Das Musikalische Wochenblatt Nr. 19 bringt auf S. 239 im »Dresdener Musikbrief« eine Rezension der 4. Symphonie unter Hagens Leitung [am 15.11.1895]:
"                      Dresden, März 1896.
             (Fortsetzung.)
    Sechs Symphonieconcerte (drei der Serie B, mit Solisten) des Hoftheaters, zwei Nicodè-Orchesterabende und zwei Populäre Künstlerconcerte der ConcertagenturRies haben vor Weihnachten stattgefunden.[...]. Am zweiten Abend hörte man in Dresden zum ersten Male Anton Bruckner's 4. Symphonie in Es (die romantische), – ein goldhaltiges, stilechtes symphonisches Meisterwerk, das auch, obschon unter Hrn. Hagen's Taktpendel gespielt, auf das Publicum grossen Eindruck gemacht und überhaupt eine überraschend verständige Aufnahme gefunden hat. Allerdings, diese Symphonie gilt für das Formvollendetste und unmittelbar Ueberzeugendste, was der so lange schmählich verkannte und vernachlässigte Wiener Meister geschaffen hat. Das schöne Werk ist von wahrhafter Inspiration und Begeisterung getragen. Die Grundstimmung ist ganz eigen feierlich und ahndevoll im Goethe'schen Sinne. Ungemein prägnant sind die Motive gefasst, wie auch originell erfunden, – prachtvolle Naturmotive von der Art und schlagenden Echtheit der Wagner'schen "Rheingold"-Motive. Namentlich im ersten Satze stösst man auf wahre Aperçus, auf Einfälle von ganz köstlicher tondichterischer Charakteristik – ich erinnere hier nur an das hochgeniale, fortreissende Trompeten- uud [sic] Posaunen-Fünftonmotiv, das zum ländlerhaft behaglichen zweiten Thema in Desdur überleitet. Wunderbar stimmungsvoll ist der innig fromme, langsame Satz, dessen langes Bratschenthema im Herzen lange nachhallt. Das humorvolle Scherzo schildert eine mittelalterliche Falkenjagd, wobei die Hörner nach Herzenslust vierstimmig blasen, und das lustigste bunte Treiben im Wald und auf der Haide aus fröhlich charakteristischen Rhythmen Einem entgegenklingt. Die ganze Symphonie athmet in der That eine echt romantische Grundstimmung bis zum Schlussaccord.  Ueberaus glanzvoll, unbeschreiblich farbenreich ist die Instrumentation, auf die sich Bruckner ja bekanntlich aus dem Grunde versteht, dass von lebenden Componisten höchstens nur noch Richard Strauss es ihm hier gleichthut. Die Dresdener Hofcapelle hat nach diesem unbestrittenen Erfolg der Bruckner'schen Esdur-Symphonie unseres Bedünkens an dem Meister die Ehrenpflicht zu erfüllen, hinfort jeden Winter Eine seiner acht Symphonien zur Aufführung zu bringen, schon aus pädagogischen Gründen: damit man sich über Bruckner's Bedeutung hier endlich völlig klar werde. [... über weitere Konzerte ...].
             (Schluss folgt.)" [Signatur am 7.5.1896: "Carl Söhle."] (*).

 Auf Seite 240 wird das Konzert vom 24.4.1896 (mit dem Andante der 4. Symphonie) besprochen (signiert "F."):
"                Bericht.
     Leipzig.
Zu einer ungemein interessanten, betr. der Orchesternummern der Anordnung des Hrn. Director Dr. Günther zu verdankenden Nachfeier des Geburtstags Sr. Majestät des Königs Albert, des hohen Protectors des Instituts, gestaltete sich die Musikaufführung im k. Conservatorium am 24. April. Sie begann mir [... J. S. Bachs 1. Brandenburgisches Konzert unter Hans Sitt ...] Eine ebenfalls sehr gelungene, das Schülerorchester überall in bester Beschaffenheit erscheinen lassende Ausführung fanden unter derselben einsichts- und temperamentvollen Führung auch die beiden weiteren Orchesterwerke: das ebenfalls für hier neue Andante aus der 4. Symphonie von A. Bruckner und die am gleichen Ort schon wiederholt zu ausgezeichneter Darstellung gelangte glanzvolle Festouvertüre von R. Volkmann. Der Symphoniesatz trug die Hauptmerkmale der meisten Compositionen des greisen Wiener Meisters: den üppig quellenden Gedanken und einer starken Phantasie fehlt auch in diesem Stück die verständig ordnende und bindende Hand, sodass der Hörer sich mit geistvollen, öfters ebenso barocken wie genialen Einzeleindrücken begnügen muss, statt einer nachhaltigen Gesammtwirkung theilhaftig zu werden. Zwischen die Werke von Bruckner und Volkmann waren Solovorträge [... Margarethe Schmidt (Leipzig) und Vida J. Jolly (Kassel) ...] eingeschoben. [... über weitere Konzerte ...].          F." (**).

Dieses Konzert wird nochmals auf Seite 241 in der "Concertumschau" erwähnt:
"     Leipzig. Abendunterhalt. im k. Conservat. der Musik am 27. März: [...]. – Nachfeier des Geburtstags Sr. Maj. des Königs Albert ebendaselbst am 24. April: [... Bach ...], Andante a. der 4. (romant.)Symph. v. A. Bruckner, Claviersoli [... Frl. Schmidt aus Leipzig ... Lieder (Frl. Jolly aus Kassel) ...] (Das Orchester unter Leit. des Hrn. Sitt.) – [...]" (***).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189604305, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189604305
letzte Änderung: Jul 16, 2024, 11:11