zurück 20.8.1896, Donnerstag ID: 189608205

[oder 19.8.1896?] Bruckner geht erstmals seit langer Zeit wieder ins Freie (*).

Das Musikalische Wochenblatt Nr. 35 berichtet auf S. 456f im »Wiener Musikbrief« von der Aufführung des Quintetts am 27.3.1896 (zweite Bratsche: Herr Rycplik):
"                            Wien.
            
     (Fortsetzung.)
     Weitere bemerkenswerthe Novitäten des Quartett Hellmesberger waren [... über mehrere Kammermusikkonzerte ...]. Zu den bedeutsamsten Kammermusikaufführungen der Saison gehörte schliesslich die erstmalige Wiedergabe des ebenso contrapunctisch meisterlichen, als gemüths- und erfindungsreichen Fdur-Quintettes unseres Wiener Altmeisters Anton Bruckner in der Abschiedssoirée der "Böhmen". Es war dies bekanntermaassen durchaus nicht die überhaupt erste Vorführung der eigens ergreifenden Tondichtung in Wien, da sie ja im Gegentheil schon seit 1885 ein stets mit grösstem Beifall aufgenommenes, stehendes Repertoirewerk des Quartetts Hellmesberger bildet. Aber wenn auch Hellmersberger Vater und, seiner edlen Tradition folgend, auch Hellmesberger der Sohn die innigen Melodien des Werkes, besonders aber das ganz unvergleichlich schöne Adagio, noch mehr aus der Tiefe der Seele zu uns sprechen liessen: so technisch vollendet, plastisch klar und klangschön ist Bruckner's Quintett bisher in Wien nicht gehört worden, wie am 27. März 1896 durch die vier trefflichen "Böhmen" unter Mitwirkung eines fünften wackeren Prager Genossen, des Bratschisten Rycplik. In dieser herrlichen Darstellung war von den aus Bruckner's kühner, complicirter Stimmführung sich bei dilettantischer Wiedergabe nur zu leicht ergebenden "grausamen Härten und Missklängen" rein Nichts zu verspüren, im Gegentheil das Adagio (für mein Gefühl nur etwas zu gleichmässig langsam genommen) entfaltete einen berückenden Klangzauber, der in Verbindung mit dem grossmelodischen Zuge des Stückes und seinen wundervollen Harmonien das mit verhaltenem Athem lauschende Publicum in eine schier seraphisch verklärte Stimmung versetzte. Nach der letzten Note ein vielsagendes secundenlanges Schweigen der Ergriffenheit, dann aber ein Beifallssturm, von dem der grosse Musikvereinssaal in seinen Grundfesten zu erbeben schien. "Dieses Adagio war doch heute der reinste Engelgesang" – vernahm man wiederholt beim Herausgehen aus dem Saale, auf der Treppe und in den Garderoben. Und dieser neue grosse Triumph unseres armen schwer leidenden Bruckner (dem natürlich verwehrt war, der Aufführung beizuwohnen) wurde von der dem Meister feindlichen Kritk vollkommen todtgeschwiegen!! Ja, Einige der "namhaftesten" unter den Wortführern dieser Parteirichtung verliessen mit demonstrativ höhnischen Blicken gerade vor Anfang des Bruckner'schen Quintetts den Saal. Ob sie auf solches Gebahren [sic] stolz sein können, mögen freundlichst die unparteiischen Leser entscheiden!
                             (Fortsetzung folgt.)" [Signatur am 3.9.1896: "Dr. Theodor Helm."] (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189608205, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189608205
letzte Änderung: Sep 30, 2023, 11:11