zurück 9.11.1896, Montag ID: 189611095

Drittes Konzert des Leipziger Liszt-Vereins in der Alberthalle mit Bruckners 4. Symphonie unter Hans Sitt. Das Orchester wird durch die Kapelle Winderstein verstärkt. Die Programmeinführung hatte Arthur Friedheim verfaßt (*). 
    Ein Cellist namens Krasa wirkt bei der Aufführung mit (Dvorak-Konzert) (*a) und als Gesangssolistin Frl. Sauer (*b).
    Anwesende Kritiker: Pfau, Vogel und »F.« (*c).

Die Leo-Gesellschaft beschließt in ihrer Sitzung, Bruckner durch ein Denkmal zu ehren (**).

Besprechung der 7. Symphonie durch Theodor Helm in der Deutschen Zeitung Nr. 8931 auf S. 4:
"     Erstes philharmonisches Concert. Das gestern (Sonntag) veranstaltete, für das neue Musikjahr 1896/97 erste phiharmonsiche Concert war offenbar als Trauerfeier für Anton Bruckner gedacht, wenn auch leider dies officiell zu bemerken vergessen war. Aber Jedermann wußte doch, warum die Vortragsordnung mit Bruckner's gewaltiger E-dur=Symphonie schloß, zu deren weltberühmtem Adagio der Meister durch die Vorahnung des Todes R. Wagner's angeregt wurde und mit dem er sich selbst das herrlichste Denkmal in Tönen gesetzt. Die Wirkung dieser erhabensten Trauerklänge, welche je seit Beethoven in einer Symphonie laut geworden, war gestern – wie überhaupt die des ganzen unsterblichen Werkes! – eine nicht zu beschreibende, dirigirte ja auch Hans Richter mit wahrer Begeisterung und schien sich das Orchester an Schwung, Ausdruck und Klangschönheit selbst zu übertreffen. Im Sinne einer Trauerfeier wäre es wohl pietätvoller gewesen, mit jedwelchen Beifallszeichen zurückzuhalten, andererseits that Einem freilich der – besonders nach den Mittelsätzen der Symphonie – spontan losbrechende Beifallssturm wahrhaft wohl, wurde doch dadurch den unverbesserlichen kleinlichen Gegnern drastisch zu Gemüthe geführt, wie ein Bruckner'sches Meisterwerk auch nach dem Tode des schmählich verunglimpften Tondichters zu wirken vermöge. Das Concert, auf welches wir noch zurückkommen, eröffnete mit Beethoven's prächtiger Festpuvertüre op. 124, worauf Volkmann's D-moll=Serenade folgte, deren Violoncellsolo Herrn Hummer verdienten Beifall brachte.                h–m." (***).

Besprechungen auch in der Extrapost Nr. 773 (Wiener Montags-Journal) auf S. 4, signiert "B.":
"     (Philharmonisches Concert.) Mit dem gestern abgehaltenen ersten philharmonischen Concert ist die Serie der großen Musikaufführungen [...] in glücklichster Weihe [sic] inaugurir [sic] worden. [... Beethoven, Volkmann, Hummer ...]. Die Hauptnummer war Bruckner's siebente Symphonie (E-dur), die als rühmlichste Todtenfeier für den verstorbenen Meister in hinreißender Weise von den Philharmonikern gespielt wurde. Es war besonders interessant, die Wandlung zu beobachten, welche seit der letzten Aufführung dieses wohl einheitlichsten und melodiösesten der Bruckner'schen symphonischen Werke im Jahre 1889 mit dem Publicum vorgegangen, das gestern für die grandiose Schönheit des Werkes weit mehr Verständniß und Interesse zeigte, als man damals hätte hoffen dürfen. Besonders nach dem zweiten Satz, der ergreifenden Trauermusik, die so actuellen Charakter annahm, sowie dem virtuos durchgeführten Scherzo war der Beifall ebenso einmüthig als anhaltend. Der Aufführung merkte man die besondere Sorgfalt an, mit der Hans Richter an das Studium des Werkes gegangen. Er darf das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, dem todten Componisten gestern jene Anerkennung ersiegt zu haben, die ihm im Leben nur so langsam, fast widerwillig gezollt wurde. Nach Schluß des letzten Satzes wurden ihm nicht endenwollende Ovationen bereitet, die wohl mit auch dem begeisterten Vertreter der guten Sache galten.           B." (°),

im Illustrierten Wiener Extrablatt Nr. 309 auf S. 4, signiert »k. st.« [Königstein]:
„         Theaterzeitung.
[...]
             Concerte.
Die Philharmoniker. – Frau Neuda=Bernstein [Reuda?]. – Fräulein Hochmann.
     Gestern haben die Philharmoniker unter der sieggewohnten Leitung Hans Richter’s ihren diesjährigen Cyklus von acht Abonnement=Concerten eröffnet. Der große Musikvereinssaal zeigte einer schier hypertrophische Fülle und es gab für die mustergiltige Ausführung der drei Programmnummern: Beethoven’s Ouverture in C-dur („Die Weihe des Hauses“), Volkmann’s dritte und letzte Serenade in D-moll und Bruckner’s Symphonie in E-dur des Beifalls mehr als genug. Speciell Herr Hummer wurde […] ausgezeichnet.
     [… kurz über andere Konzerte …].        k. st.“ (°°),

in der Montags-Revue Nr. 45 auf S. 6, signiert »H. A.« [Hedwig Abel]:
„              Theater, Kunst und Literatur.
[…]
     (Philharmonisches Concert.) Einem alten Gebrauche folgend, hat Hofcapellmeister Richter die Reihe der philharmonischen Concerte mit einem, dem Publicum bereits vertrauten, Programm eröffnet. Zuerst hörte man Beethoven’s Ouverture op. 124 „die Weihe des Hauses“, zuletzt die Symphonie Nr. 7 in E-dur von Anton Bruckner. Dazwischen wurde die Serenade in D-moll von Robert Volkmann gespielt. Den meisten Beifall erhielt die Symphonie, den aufrichtigsten, die Ouverture. [… über dieses Werk …].
     In der Volkmann’schen Serenade spielte Professor Reinhold Hummer das weltschmerzliche Cellosolo mit guter Wirkung. Den Hauptleckerbissen für die zahlreich anwesende Brucknergemeinde bildete aber die Vorführung der E-dur=Symphonie. Sonst pflegen sich die Philharmoniker mit solchen Todtenopfern nicht sehr zu beeilen; diesmal erhielt der Heimgegangene die Verehrung und Trauer der Hinterbliebenen mit raschester Post nachgesendet. Der größte Theil des Publicums freilich, der im Grunde antibrucknerisch gesinnt ist, hielt nicht Stand, sondern brannte nach den einzelnen Sätzen in größeren und kleineren Rotten durch. In diesem Falle vielleicht nicht ganz mit Recht. Denn wenn überhaupt Eine, so ladet die E-dur=Symphonie durch zahlreiche Schönheiten zu längerem Verweilen ein. Diese Schönheiten aus dem brodelnden Wulst von Exaltation, Wagnerei und musikalischem Widersinn herauszuklauben, kostet allerdings nicht geringe Mühe. So zündete selbst die großartige Stelle im zweiten Satz, wo das G der Trompeten wie eine Sonne über dem ganzen Orchester leuchtet, nicht in dem Maße, wie sie bei einem besonneneren Componisten gezündet haben würde. In diesem Sinn hoffen wir, im Gegensatze zu der dem Programmbuch des ersten philharmonischen Concertes beigedruckten „Statistik der Bruckner’schen Symphonien“, welche freudig von ihrem „seit 1890/91 regelmäßigen“ Erscheinen auf dem Programm berichtet, daß die Bruckner’schen Symphonien allmälig in Wien seltener werden und zuletzt im wohlthätigen Dunkel der Archive verschwinden. H. A.
(°°°),

im Neuen Wiener Journal Nr. 1094 auf S. 3, signiert »a. k.« [Albert Kauders]:
"     (Erstes philharmonisches Concert.) Unter Hans Richter's Leitung haben gestern die Philharmoniker das erste ihrer Abonnementsconcerte abgehalten. Der Saal war gedrängt voll, weil (Viele sagen: trotzdem) eine Bruckner'sche Symphonie auf dem Programm stand. Es war die prachtvolle siebente in E-dur, dieselbe welche Bruckner's Bedeutung zuerst dem Auslande offenbart hat. Den ergreifenden zweiten Satz hat Bruckner bekanntlich unter dem Eindrucke der Nachricht von Richard Wagner's Hinscheiden componirt; gestern erklangen die feierlichen Harmonien als Trauermusik für den Schöpfer selbst. Die Philharmoniker haben in ihrer Weise dem großen Tönemeister die letzte Ehre erwiesen und hiemit löbliche Pietät geübt. Wir besorgen nur, daß sie auch der siebenten Symphonie auf absehbare Zeit die letzte Ehre – einer Aufführung erwiesen haben, mit der Hindeutung auf die Thatsache, daß wiederum ein Theil des Publicums nach dem zweiten und dritten Satz die Flucht ergriffen hat. Aber die Schuld an dieser bedauerlichen Erscheinung liegt sicherlich mehr an der unpassenden Stunde, zu welcher man in Wien Symphonieconcerte abhält. Vor dem Mittagessen befindet sich die Aufnahmsfähigkeit und Genußfähigkeit des Kunstfreundes erfahrungsmäßig auf dem niedrigsten Niveau und dem knurrenden Magen sind lange Symphonien gleichbedeutend mit – schlechten. – Wie schon wiederholt, hat diesmal auch die Beethoven'sche Ouverture "Zur Weihe des Hauses" die philharmonische Octave eingeleitet. Volkmann's kleine Serenade D-moll, deren Cello=Solo Herr Hummer sehr schön spielte, vervollständigte das Programm.      a. k." (#)

und in der Wiener Sonn- und Montags-Zeitung Nr. 45 auf S. 6 (Kurzkritik, signiert »h. w.« [Hans Woerz]):
"     (Philharmonische Concerte.) Gestern wurde der Cyclus der philharmonischen Concerte eröffnet. Das Programm bildeten [... Beethoven, Volkmann (mit "Gummeri" [sic] als Cellisten) ...] und die E-dur=Symphonie (Nr. 7) von Bruckner, welche wir bei ihrer ersten Aufführung in Wien 1885 [sic] trotz übermäßiger Länge der Außensätze als die best abgerundete seiner symphonischen Schöpfungen bezeichneten, wofür wie sie neben der "Kaiser=Symphonie" (Nr. 8) auch heute noch halten. Glänzend gespielt, fand sie gestern auf der einen Seite den lebhaftesten Beifall und auf der anderen Seite – so viel uns bemerkbar war – kein Zeichen von Opposition. Daß ein Theil des Publicums nicht bis zum Ende ausharrte darf, nach 2 Uhr Nachmittags bekanntlich nicht dem zur Aufführung gebrachten Werke auf die Rechnung geschrieben werden.    h. w." (##).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 189611095, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-189611095
letzte Änderung: Nov 30, 2023, 9:09