zurück 14.5.1861, Dienstag ID: 186105145

Lobende Kritik des Linzer »Abendboten« Nr. 110 (signiert »-b-« (*)) über das Gründungsfest des »Frohsinn« und Bruckner als Dirigent:
   »- Am 12. Mai 1861 brachte die Liedertafel „Frohsinn” zur Feier ihres Gründungsfestes eine Vokalmesse von Lotti in der hiesigen Domkirche zur Ausführung. Vor Allem unseren wärmsten Dank der Liedertafel, daß sie einen so kostbaren Schatz alter Kirchenmusik, welche bisher nur speziellen Kennern bekannt war, seinem Dunkel entrissen und das hiesige Publikum mit einem Werke bekannt gemacht hat, über welchem Adel, Würde und Gediegenheit schwebt, und welches eine Fundgrube des Wissens im Fache der Kirchenmusik genannt werden kann. Würdig aber diesem Meisterwerke, vollkommen in jeder Beziehung, tadellos in allen Theilen war auch die Exekutirung dieser Messe. Die Markirung der eintretenden Themas, die sichere Intonation, die Farbenmischung von Piano und Forte, das Erstarken und Ersterben der Akkorde brachten eine unbeschreibliche Wirkung auf die andächtig lauschenden Zuhörer hervor. Daß ein Werk frei von allen einschmeichelnden Melodien der neuen Musik, ernst und würdig gehalten, ein durch und durch klassisches Werk derartig aufgeführt wurde, daß Kunstkenner und Laien gleich entzückt den Tönen lauschten und gleich befriedigt von dannen gingen, daß eine Wirkung erzielt wurde, wie sie in Linz mit einem derartigen kirchlichen Werke noch nie erzielt wurde, das möge die Liedertafel „Frohsinn”, das mögen die mitwirkenden Damen sich zum Ruhme anrechnen, das ist ein Glanzpunkt ihres Wirkens, dessen Schimmer so bald nicht erlöschen wird. Einem Vereine anzugehören, dessen Leistungen bereits eine derartige Kunststufe einnehmen, ist eine Ehre für jedes Mitglied, und einen solchen Verein zu dirigiren muß ein wahres Vergnügen muß der Stolz eines Chormeisters sein. Herr Bruckner als Dirigent bewies, welche Kenntnisse ihm inne wohnen, daß er es versteht, sie auch einem ganzen Vereine einzupflanzen, und daß es nur an der mangelhaften Aufführung gelegen sei, wenn ein klassisches Meisterwerk nicht zur gebührenden Geltung gebracht werden kann. Die vorgestrige Aufführung war einer der schönsten Momente seines Wirkens und mag ihm als Belohnung für so manche Mühe und Beschwerde des Einstudierens gelten. Möge nur die Liedertafel nie müde werden, sich von ihm leiten zu lassen und das Studieren nicht scheuen; daß ihr Chormeister es an Aufopferung und Lehreifer nicht fehlen lassen wird, wissen wir gewiß. Jetzt zum Schlusse noch einige Worte über das eingelegte Offertorium (Ave Maria) [WAB 6] von Hrn. Bruckner selbst. Er trat mit diesem Werke in Linz als Compositeur zum ersten Male vor das Publikum und in die Oeffentlichkeit - und errang einen vollständigen Sieg. Für die Reinheit des Satzes bürgen seine tiefen Studien, für die Gediegenheit der Komposition der Beifall der Kunstkenner und für die Schönheit des Werkes die einstimmige Anerkennung und Befriedigung der Zuhörer, sowie die Begeisterung der Ausübenden. - b - ».

(Brief von Reinhold Körner an den »Frohsinn«:
   Spendet anläßlich des Gründungsfestes 50 fl. (**)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186105145, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186105145
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11