zurück 15.5.1861, Mittwoch ID: 186105155

Kritik der »Linzer Zeitung« Nr.112, S. 454 (*)
und der »Katholischen Blätter«, S. 171 (**) über das »Ave Maria« [WAB 6]. 

(*) Linzer Zeitung:
»Vocal=Messe von Lotti,
   ausgeführt von der Liedertafel „Frohsinn” am 12. d. M. 
   Ner. Die großen Schätze ächt kirchlicher Musik stammen von Palestrina ...
   [...] Der Chormeister der Liedertafel „Frohsinn” Hr. Bruckner verdient die vollste Anerkennung, ein so schönes Werk gewählt zu haben, zur kirchlichen Feier des Gründungsfestes dieses Vereines. Freilich wäre ein allgemeineres Auffassen solcher im Palestrina-Style geschriebenen Werke durch öfteres Hören bedingt; der Zweck - religiöse Erbauung - dürfte selbst beim ersten Anhören erreicht sein. Mit feinem Verständnisse nuancirt, war die Durchführung eine mackellose. Besonders erhebend war das „Christe”, „Et incarnatus” und das liebliche „Benediktus”. Das Offertorium, „Ave Maria” 7stimmig componirt von Herrn Bruckner, ist ein religiös empfundenes, streng contrapunktisch durchgeführtes Werk, welches auf die Anwesenden mächtig wirkte. Prachtvoll klingt die Repetition „Jesus” im feierlichen A dur Accord. Hr. Bruckner hat hiedurch einen glänzenden Beweis seiner großen Studien (er ist Schüler des weltberühmten Prof. Sechter) und seiner besonderen Befähigung für schaffende kirchliche Kunst geliefert. Was an einer tüchtigen Leitung gelegen, wird jeder einsehen, der dem Gründungsamte der Liedertafel „Frohsinn” voriges Jahr und heuer anwohnte.« (*).

(**) Katholische Blätter:
    »Linz. Schon öfters wurde uns im Verlaufe mehrerer Jahre durch den Kunstsinn und die Thätigkeit des Herrn Domkapellmeisters C. Zappe, sowie des Herrn Hauptschullehrers und Musikvereinsdirektors E. Lanz Gelegenheit geboten, klassische Kirchenkompositionen aus den früheren Jahrhunderten zu hören, die uns immer mächtig anregten, erbauten und zur Andacht stimmten. Am verfloßenen Sonntage d. i. am 6. Sonntag nach Ostern wurde nun wieder in der Domkirche und dießmal unter der Leitung des Domorganisten und Chormeisters der Liedertafel Herrn A. Bruckner mit Beihilfe eines gewählten Sängerkreises aus der hiesigen Herren- und Damenwelt eine solche Komposition aus dem vorigen Jahrhundert nämlich eine Vokal=Messe von Lotti zur Aufführung gebracht. (Lotti ist der Stifter der sogenannten venetianischen Schule, studirte den Contrapunkt um das Jahr 1684 unter Begrenzi [sic, recte »Legrenzi«?] und starb zu Anfang des Jahres 1740 als Kapellmeister am S. Marco in Venedig.) 
   Es ist uns wieder ein Genuß, ja eine wahre Erbauung gewesen, diese altehrwürdigen Tonsätze - nach Form und Inhalt von der modernen Satz- und Ausdruckweise so außerordentlich abweichend zu hören. Langsames Tempo, genaue Beobachtung der Zeichen namentlich des crescendo und decrescendo, gute Aussprache, reine Intonation, - das ist es, was wir bei Aufführung dieser Lottischen Messe besonders lobend hervorheben zu müssen glauben. Zum Offertorium wurde ein von Herrn Bruckner componirtes 8stimmiges Ave Maria aufgeführt, ein kirchliches, künstlerisch vollendetes Tongebilde. - [...] Die besten Wünsche dem Fortbestehen und immer herrlicheren Gedeihen des musikalischen Wirkens auf kirchlichem Gebiete! - [...]« (**).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186105155, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186105155
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11