zurück 1.2.1865, Mittwoch ID: 186502015

Nachbemerkung zum Brief vom 29.1.1865 [vermutlich auf der ersten Seite]: Gratuliert Rudolf Weinwurm zur Leitung der Singakademie.
Weitere, nicht datierte Randbemerkung auf der letzten Seite: Ob es in der Fastenzeit keine Symphoniekonzerte [in Wien] gebe (*).

Fortsetzung des Artikels vom 4.1.1865 über die d-moll-Messe in den »Christlichen Kunstblättern« S. 6f, signiert »A.« (**):
»Einige Gedanken über Bruckners Messe*1) [Fußnote: »1) Im letzten Blatte soll es in der vorletzten Zeile heißen: zarte Violinfigur, statt: zweite Violinfigur.«] 
   II:
   Im Hinblick auf die Idee und eigentliche Bestimmung des Brucknerschen Tonwerkes, das wie Sie aus meinem letzten Schreiben werden abgenommen haben, keine bloße Schablonenarbeit, sondern ein geniales Tonwerk ist, hätte ich nur 2 Wünsche gehabt, nämlich hie und da größere Beschränkung der orchestralen Ausschmückung und Vermeidung des öfteren raschen Wechsels in den Harmonien.
   Ich gehöre nicht zu den Puritanern, welche um jeden Preis das Orchester aus der Kirche entfernt wissen möchten, weil sie in demselben schon überhaupt ein profanirendes Element erkennen wollen, sondern hinsehend auf das Wort des Psalmisten: laudate eum in tympano et choro in psalterio et cithara, sowie auf die gegenwärtige Praxis in der Kirche*2) [Fußnote: »2) Die Ansicht der Redaktion stimmt mit den hier ausgesprochenen Principien ganz überein.«] finde ich im Hinzutritte der Streich- und Blasinstrumente mit ihren prächtigen Klangfarben ein mächtiges Kunstmittel zur Hebung des Gesanges. Das ist aber auch ihr eigentlicher Zweck; sie müssen daher stets eine untergeordnete Stellung einnehmen, und dürfen nie zu stark sich geltend machen. Nach diesem Grundsatze schien mir in der Messe das Orchester im Verhältnisse zum Gesange hie und da zu dominirend. Manche, namentlich von den Streichinstrumenten nur mit großer Bravour auszuführende Sätze, einige längere Ritornelle drängen das Orchester in den Vordergrund und lenken die Aufmerksamkeit vorwiegend auf dieses. In ritueller Beziehung wird auch durch die den Instrumenten eingeräumte Selbstständigkeit namentlich das Benedictus das schon seiner Natur nach eine kürzere Behandlung fordert, zu sehr in die Länge gezogen.
   Ich pflichte ferner auch nicht jenen bei, welche den Kanon der Kirchenmusik von Palästrina bis Mozart für unverrückbar und Alles was darüber ist, für unzulässig halten, die demnach jede größere Manigfaltigkeit in Bezug auf Harmonie und Rythmus sowie in Betreff der musikalischen Ausdrucksmittel schon unkirchlich finden. Ich glaube vielmehr, daß der Entwicklungsgang, den die Musik bereits genommen, auch für die Kirche nicht zu ignoriren sei; ja manche Momente der von genialen Künstlern der neueren Zeit begründeten Richtung eignen sich besonders vortrefflich zur Darstellung des Geheimnißvollen und bringen mehr Leben und poetische Schönheit in das Ganze. Aber Manches ist wieder nicht geeignet und Maßhalten ist im alten und neuen Style für die Kirchenmusik geboten. Namentlich regt der oftmalige rasche Wechsel in den Harmonien das Gemüth auf und erzeugt Unruhe, was dem Zwecke der zum Gottesdienste bestimmten Musik entgegen ist. Nach dieser Seite hin konnte mich in der fraglichen Messe manche Partie, namentlich die Verbindung oder Wiederholung einzelner Sätze, im Credo, das unverkennbar für die musikalische Behandlung die größte Schwierigkeit bietet, weniger befriedigen. [/] Uebrigens verweise ich Sie Verehrtester! nochmals auf das im letzten Schreiben Gesagte und füge nur zur Hintanhaltung jedes Mißverständnisses bei, daß Bruckners Messe auch in kirchlicher Beziehung mir höher gilt, als so manche Messe, die man gewöhnlich als "klassisch" in Beziehung auf den Kirchenstyl bis zu den Wolken erhebt, gar nicht zu reden von den vielen Machwerken, die nur darum noch ihr Dasein fristen und als kirchlich gelten, weil sie "leicht ausführbar" sind, bei welchen aber Schönheit und Geist Nebendinge sind, weil es ihren Urhebern an Gefühl für erstere und an Erkenntniß für letzteren gänzlich mangelte.- A


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186502015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186502015
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11