zurück 11.5.1868, Montag ID: 186805115

Brief Bruckners an Rudolf Weinwurm (*):
     Gratuliert zur »hohen Auszeichnung«, berichtet von Proben und Aufführung der 1. Symphonie. Grüße von Alois Weinwurm.

(**) Brief des Dom-Musikvereins und Mozarteums aus Salzburg an Bruckner, bezogen auf das Gesuch vom 29.3.1868:
     Mozarteums-Direktor wurde Dr. Otto Bach. Bruckner wegen Interesses am Verein und Unterstützung mit Kompositionen [d-moll-Messe] zum Ehrenmitglied ernannt. Unterschrift Franz von Hilleprandts (? (***)).

Kritik des Linzer Abendboten Nr. 109 auf S. 3 (°):
»Zwischenakt.
Linz. Bruckner's Concert. Wer überhaupt noch einen Zweifel gehabt hätte, ob unser vorzüglicher Domorganist Bruckner, der allgemein anerkannte Meister im Orgelspiele, auch den schwierigsten Aufgaben der musikalischen Composition gewachsen sein würde, ist gewiß durch das vorgestrige Concert desselben in jeder Beziehung eines Besseren belehrt. Herr Bruckner führte uns sein neuestes Werk, die große Symphonie in C-moll vor und gab uns dadurch Gelegenheit, seine Schöpfungskraft und echt musikalische Durchbildung auf dem reichen Felde polyphoner Musik zu beurtheilen. Wir freuen uns, vor Allem konstatiren zu können, daß Herr Bruckner, stets das Vorbild des großen Meisters Richard Wagner vor Augen, immer mehr nach freier und selbstständiger Gestaltung ringt und in dieser Symphonie bereits zu einer Klärung seiner großartigen musikalischen Gedanken gelangt ist, welche zu den schönsten Hoffnungen für die weitere Entwicklung dieses Componisten berechtigen. Denn wer die Messe und die früheren kleineren Arbeiten Bruckner's noch im Gedächtnisse behalten hat, wird wohl keinen Augenblick anstehen, in diesem seinem neuesten Werke einen wahrhaft bedeutungsvollen Fortschritt anzuerkennen, welcher mit Nothwendigkeit auch zu fernerem Vorwärtsstreben drängt. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, in das musikalische Detail der Symphonie einzugehen, und wir beschränken uns daher, dieses Amt berufeneren Federn überlassend, lediglich darauf, den Eindruck, den das Werk auf gebildete Zuhörer überhaupt macht, in Kürze anzudeuten.
   Der erste Satz führt uns eine Reihe genialer Geistesfunken vor, welche den Zuhörer zeitweise förmlich elektrisiren und für die späteren Sätze trefflich vorbereiten. Im Adagio finden wir ein wunderliebliches Thema durch eine kunstvolle Figur der Violinen durchgeführt, dessen Wirkung sich jedoch gegen Ende etwas abschwächt. Von dem darauffolgenden Scherzo werden wir durch ungemein lebendige Charakterisirung in Verbindung mit der schönsten harmonischen Durchführung der kühnen und doch wie natürlich sich ergebenden Sprünge im wahren Sinne des Wortes hingerissen und dieser ganze Satz hält uns von Anfang bis an's Ende in unveränderter Spannung. Im Finale zeigt uns endlich der Componist, wie derselbe gewaltige Tonmassen zu behandeln und deren Wirkung auf den Zuhörer zu berechnen versteht. Das ganze Werk jedoch macht den Eindruck einer echt schöpferischen Leistung und wurde demgemäß auch mit dem aufrichtigsten, lebhaftesten Beifalle sowohl nach den einzelnen Sätzen, als auch insbesondere am Schluße aufgenommen, wobei sich die Anerkennung für den Componisten zu einer wahren Ovation steigerte. Man fühlte eben allgemein das Bedürfniß, Herrn Bruckner recht deutlich zu zeigen, wie hoch man seine künstlerische Bedeutung zu schätzen wisse und wie sehr man einen Verlust desselben für das hiesige musikalische Leben der Stadt beklagen würde. Möchte es doch gelingen, die hiesige Stellung des bescheidenen Componisten so zu festigen, daß derselbe nicht weiter nöthig hätte, sich anderswo nach einer gesicherteren Existenz umzusehen. Die Aufführung der Symphonie, welche über eine Stunde in Anspruch nahm, war sowohl von Seite der Streich- als Blasinstrumente eine vorzügliche, und die zahlreichen bedeutenden Schwierigkeiten wurden in der lobenswerthesten Weise bewältigt.
   Frl. v. Sachse, schon bei ihrem Erscheinen lebhaft begrüßt, brachte mit ihrer herrlichen Stimme zwei Lieder von Mendelssohn und Brahms in vortrefflicher Weise zum Vortrage und erntete hiefür den reichlichsten Beifall.
   Die Liedertafel „Frohsinn” ehrte ihren Chormeister durch den Vortrag des Ritornelle's von Schumann und des Chores „An die Entfernte” von Schubert, in der bereits vom letzten Gründungsfeste bekannten vorzüglichen Weise, welcher selbstverständlich auch der Beifall nicht fehlte.
   Das Concert war von einem sehr gewählten Publikum besucht und auch durch die Anwesenheit des hochwürdigsten Herrn Bischofes ausgezeichnet.
   So rufen wir denn Herrn Bruckner, von dessen Compositionstalente wir auch bei der gestrigen Liedertafel=Messe wieder zwei herrliche Geistesblüthen kennen zu lernen Gelegenheit hatten, ein herzliches Glückauf mit dem aufrichtigen Wunsche zu, daß seine Symphonie auch anderwärts die gleiche glänzende Aufnahme finden möge.« [keine Signatur] (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186805115, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186805115
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11