zurück 9.10.1869, Samstag ID: 186910095

Letzte Folge der Artikelserie im Linzer Volksblatt Nr. 232 auf S. 2 und 5:
»Die Aufführung der Bruckner'schen Fest-
                             Messe
bei der feierlichen Einweihung der Votivkapelle 
       des Mariä-Empfängniß-Domes in Linz.

                           (Schluß.)
    Die schwierigste Partie der Messe ist unstreitig das Benedictus. Ein Horn beginnt mit dem Thema, das, ganz chromatisch, uns vielleicht schon ahnen läßt, daß wir hier hauptsächlich eine chromatische Arbeit zu hören bekommen.
    Wir haben mit Vergnügen bei den Schönheiten der Messe verweilt, und ich glaube, wenn ich nun gestehe, daß das Benediktus eben darum, weil es so sehr der Chromatik huldigt, einen niederdrückenden oft peinlichen Eindruck auf mich machte, man mir nicht vorwerfen wird, als wollte ich mich bemühen, das Werk zu verkleinern.
    O nein! Nichts liegt mir ferner. Ich sehe den großen Werth, den diese Nummer als Komposition hat; aber ich denke mir, ein Benediktus soll hell und klar sein, der da kommt im Namen des Herrn, bringt uns den Frieden; die Chromatik dieser Art aber kann nach meiner Ansicht den inneren Frieden, die innere Ruhe nicht so ausdrücken, da sie aufregt, und darum an ihrem Platze ist, wo Leidenschaften, Unruhe, Unzufriedenheit, Niedergeschlagenheit darzustellen sind. Man misverstehe mich nicht. Ich bin kein Feind der Chromatik, und ich bin auch nicht der Ansicht, daß sie der Kirchenmusik ferne bleiben soll, denn ich würde beweisen, daß ich die klassischen Meisterwerke der alten Italiener nicht kenne, (ich erinnere an das wundervolle Requiem von Pitoni in Proske's Musica divina); aber Chromatik und Chromatik ist nicht einerlei. Wer das genauer sehen will, der sehe eben das bezeichnete Requiem an und daneben chromatische Werke der Neuzeit z. B. Wagner'sche Kompositionen, und er wird den Unterschied kennen lernen, der zwischen Chromatik und Chromatik ist.
    In dem bezeichneten Umstande liegt auch die Schuld, warum dieser Satz der schwierigste ist. Da gehören Kräfte dazu, die man gewöhnlich nicht hat, und so wird das auch zur Ursache, daß man ein Werk, das man öfter hören soll, nicht hören kann. Es schließt sich beinahe selbst vom Repertoire aus, und das ist Schade. Hr. Bruckner kann von den Proben erzählen, und es weiß vielleicht niemand, wie viele Mühe ihm das Einstudieren der Messe verursacht hat. Auch an die Bläser der Holzinstrumente werden Anforderungen gemacht, die man schon mit riesig bezeichnen kann, und es ist ganz billig, daß hier der Leistungen der ausübenden Künstler ganz besonders lobend gedacht wird.
    Choralartig beginnt das Agnus Dei; sehr schön ist das miserere nobis ausgedrückt, die Vorhalte sind hier von prächtiger Wirkung; eben so hübsch ist der Schluß des miserere, wo der Männerchor choralartig auftritt, der 1. Chor über ihm aber 3stimmig singt. Besonders schön beginnt das dona nobis; das ist eine Bitte um Frieden so recht aus dem Herzen.
    Ueberblicken wir nun das ganze Werk, so muß gewiß jedermann gestehen, daß diese Komposition zu den bedeutendsten der Gegenwart gehört. Bin ich auch in manchen Punkten anderer Ansicht, so hindert mich das nicht zu sagen, daß ich diese Messe sehr hoch schätze, und weit höher stelle als so viele andere Messen, von welchen uns in der Neuzeit beinahe Wunder erzählt wurden.
    Der Eindruck auf die Andächtigen war unverkennbar, und von vielen Seiten, auch von gewöhnlichen Landleuten, hörte ich die Schönheit der Messe bewundern. Die Aufführung selbst muß man als eine ganz gelungene bezeichnen; das eine Malheur im Sanktus kann man schon passiren lassen. Sowohl der Gesangschor, als auch die begleitenden Blasinstrumente leisteten Großes. Ich möchte diese Messe mit 400 Sängern und in einer großen Domkirche, nicht im Freien, hören; gewiß würden manche Partien noch mehr gewinnen.
    So wie die Feier der Einweihung selbst allen Anwesenden unvergeßlich sein wird, so wird auch die Aufführung der Messe gewiß allen unvergeßlich bleiben, und gewiß werden alle Herrn Bruckner ein recht freundliches Andenken bewahren.     J. E. H.«


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 186910095, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-186910095
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11