zurück 23.11.1872, Samstag ID: 187211235

Konzertbericht von Franz Gehring in der Deutschen Zeitung Nr. 323 auf S. 3f. mit Anmerkungen über Bülows Konzert [am 19.11.1872], das Orgelkonzert am 15.11.1872, das 1. Philharmonische Konzert und einige Kammermusikabende.
     »[...] galt es ... eine Idee zu geben von der Gewalt des neugeschaffenen Orgelwerks; diese Absicht ist vollständig mißlungen. ... [... über das unlösbare Problem, in das vorgegebene Gehäuse eine tonstarke Orgel einzubauen ... über Fischers unglückliche Wahl der Register ...] ... Die Improvisation unseres einheimischen Herrn Bruckner verfolgte das Mißgeschick, daß ein Register versagte; das mag wohl die Veranlassung gewesen sein, daß Herr Bruckner nach ziemlich langweiligen Motiven den Versuch machte, mit vollem Werk die österreichische National=Hymne contrapunktisch durchzuführen. Es hatte eigentlich nichts näher gelegen, als damit den Vogel abzuschießen in dem Wettstreite mit dem Dresdener Organisten Fischer. Daß dies trotzdem Herrn Bruckner nicht gelungen ist, bleibt sehr zu bedauern. Man sollte meinen, daß das Vorbild des Haydn'schen C-dur=Streich=Quartetts in Bezug auf die contrapunktische Durchführung dieser National=Melodie aller National=Melodien dem Herrn Professor so gegenwärtig hätte sein müssen, daß er, selbst im Schlafe aufgerüttelt, Tact für Tact desselben auswendig hätte wissen sollen. [... am Ende signiert:] Franz Gehring.« (*).

Eduard Schelle äußert sich in der "Presse" Nr. 323 auf S. 2 ebenfalls kritisch über das Konzert:
     "[... enttäuschend, Programm zu lang ...] aber der Choral und die Orgelfuge waren an diesem Ehrentage des neuen Instruments nicht für hoffähig befunden worden; sicherlich wäre aber dem Publicum mit einem figuriten mächtigen Chorale weit mehr gedient gewesen, als mit der durchaus dilettantenhaften, äußerst styllosen Improvisation des Herrn Bruckner. Die übrigen genannten Orgelsachen wurden von Herrn Fischer recht anständig gespielt. [... Marie Wilt, von Gänsbacher begleitet ...] Zwei schon im Gesellschafts=Concerte gebrachte Chöre "a capella" von Eccard und Isaak bildeten einen wohlthuenden Gegensatz zu Herrn Bruckner's Improvisation. Die bekannte, dem Stradella fälschlich zugeschriebene Kirchen=Arie wäre besser weggeblieben, obwol sie Herr Walter recht schön sang. So hätten wir allerdings ein Orgelconcert erlebt, aber nun wünschten wir auch einmal die Orgel zu hören. [... über weitere Konzerte ...] E. Schelle." (**)


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187211235, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187211235
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11