zurück 1.8.1876, Dienstag ID: 187608015

Besprechung der f-Moll-Messe durch Eduard Kulkes [nicht: Eduard Kremser] im "Vaterland" Nr. 210 auf S. 3:
     "Ed. K. Anton Bruckner's Messe Nr. 3 in F nebst Einlagen, und zwar Locus iste und Ave Maria [WAB 6] von demselben wurde am verflossenen Sonntag in der Hofcapelle unter des Componisten persönlicher Leitung zur Aufführung gebracht. Bruckner's Kirchenstyl ist der sogenannte dramatische, ein Styl, der von Beethoven in der großen D-Dur=Messe begonnen und von Franz Liszt, dem größten Kirchencomponisten unserer Zeit, in der Graner Festmesse mit so viel Glück fortgesetzt wurde. Bruckner ist kein bloßer Nachahmer von Richard Wagner und Franz Liszt, aber er besitzt einen diesen beiden großen Männern wahlverwandten Geist. Bruckner's Musik hat Physiognomie, hat eigenthümliche Züge, die uns aus dieser edlen Physiognomie entgegen leuchten und unsere innigste Theilnahme und Bewunderung erringen. Wenn etwas wie Tadel in dieses Lob sich einzudrängen strebt, so wäre es nur das Bedauern, daß Bruckner bei dem Ueberwuchern seiner aus tiefster Tiefe seiner Empfindung hinströmenden Melismen und Harmonien nicht die Kraft der Concentration besitzt, dem mächtig in ihm arbeitenden Drange im rechten Augenblicke Einhalt zu gebieten; es ist dies ein Mangel, der aus allzu großem Reichthum entspringt, Bruckner theilt diesen Fehler mit Schubert, dessen C-dur Symphonie, z. B. ja auch von göttlicher Länge ist."


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 187608015, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-187608015
letzte Änderung: Feb 02, 2023, 11:11