zurück 22.2.1881, Dienstag ID: 188102225

(*) Kritik zur 4. Symphonie von Wilhelm Frey im Neuen Wiener Tagblatt Nr. 52 auf S. 1f:
»Musikalischer Ausnahmsfall.
   Mitten in den Faschingsrummel hinein, vor dem sich bekanntlich alle ernstere Musik in ein sicheres Versteck zu flüchten sucht, traten plötzlich und in ganz unvorhergesehener Weise zwei musikalische Ereignisse gewichtigster Art: Das außergewöhnliche Konzert der Philharmoniker und die Bülow=Abende. [...] und die Aufführung der Bruckner'schen Symphonie [galt] der Ehrenrettung eines unserer bedeutendsten Komponisten. Anton Bruckner, dessen Es-dur-Symphonie vorgestern einem großen vorurtheilslosen Publikum zur Beurtheilung vorgelegt, vielmehr vorgespielt wurde, ist eine ganz eigenthümliche Erscheinung. [... Schilderung des Konkurrenzspiels vom 18.4.1871, Bruckner improvisiere und komponiere ohne Rücksicht auf das Publikum, nur für sich selber ... über die verschwenderische Gedankenfülle ... Lob für den 1. Satz, leichte Einwände gegen die folgenden Sätze ...] Doch die Fülle geistvoller Ideen verleugnet sich nirgends und es ist nur ein gewisser Mangel an Sinn für einen gesunden Organismus fühlbar und wenn es denkbar wäre, daß aus dieser Masse von Bildern eine Art Anthologie gemacht werden könnte, würde man erst so recht zum Genusse des Werkes gelangen. Der Komponist wurde nach jedem Satze unzählige Male gerufen. Er erschien und im Ausdruck seiner verlegenen Miene waren Verwunderung über sich und Dankbarkeit gegen das Publikum in gleicher Weise gemischt. [... über Bülow ...] Wilhelm Frey.« (*).

(**) Kurznotiz [von Hanslick ??] in der Neuen Freien Presse Nr. 5922 auf S. 6:
     »[Concert.] Sonntag Mittags fand im großen Musikvereinssaale einOrchester=Concert unter Hanns Richter's Leitung [...] statt. [...] Applaus in Hülle und Fülle fehlte auch den beiden folgenden Stücken nicht: einer Ballade für Orchester ("Des Sängers Fluch") von H. v. Bülow und einer Symphonie (Es-dur) von Anton Bruckner; doch war der Eindruck dieser beiden der Liszt=Wagner'schen Richtung angehörigen Compositionen keineswegs so rein und unbedingt, wie der von Bülow's Clavierspiel. Wir behalten uns einen ausführlicheren Bericht vor und erwähnen nur noch, daß Herr Bruckner nach jedem Satz seiner Symphonie stürmisch gerufen worden.« [keine Signatur] (**).

(***) Besprechung von Franz Gehring in der Deutschen Zeitung Nr. 3282 auf S. 1:
   »Am Sonntag haben wir in dem Concerte, welches die Philharmoniker zu Gunsten des Deutschen Schul-Vereines im großen Musikvereins=Saale veranstalteten, eine neue Symphonie des Hof=Organisten Anton Bruckner gehört, über deren künstlerischen Werth bereits vor dieser ersten Aufführung ein hitziger Kampf der Meinungen ausgebrochen war. [... ungünstige Besprechung ...] Da dieselbe eine gute Stunde dauert, kann man sich eine Vorstellung von dem peinlichen Gefühle machen, dessen man sich dabei und nach dem Schlusse nicht erwehren kann. Glücklicherweise bot uns das gestrige Concert in seinem ersten Theile einige sehr auserlesene musikalische Genüsse. [...] [am Ende, auf S. 3:] Franz Gehring.« (***).

(°) Kritik in der Morgenpost Nr. 52 auf S. 3:
      »Concert für den Deutschen Schulverein.
         Wir haben bereits gestern einen kurzen Bericht über das Concert gebracht [... über Bruckners »geniales Gepräge« ...] hielte das formgebende Element seiner Begabung dem zeugenden das Gleichgewicht und vermöchte er seinen Gedanken einen klareren, knapperen und gewandteren Ausdruck zu leihen, so wäre heute alle Welt seines Ruhmes voll. [... Lob für 1. und 3. Satz ... Vorbehalte zum 2. Satz ...] Der letzte Satz der Symphonie ist der schwächste [...] die Flucht vor dem vierten Satze galt nicht dem vaterländischen Werke, sondern dem heimischen Suppentopfe, mit welchem in Wien selbst die Götter vergebens kämpfen würden, wenn es ihnen einfiele, eine Symphonie in vier Sätzen zu componiren und als letzte Concert=Nummer zur Aufführung zu bringen. [... über Bülow ... Signatur am Ende:] Bn.« (°).

(Vortragsabend am Wiener Konservatorium (°°)).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188102225, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188102225
letzte Änderung: Feb 19, 2023, 19:19