zurück 23.2.1881, Mittwoch ID: 188102235

Kritiken zur 4. Symphonie:

signiert »ff.« (Dr. Paumgartner) in der Wiener Abendpost Nr. 43, S. 1f:
               "Concerte.
Außerordentliches philharmonisches Concert. - Hans von Bülow.
     ff. Am 20. d. M. gaben die Philharmoniker unter Capellmeister Richters Leitung ein außerordentliches Concert, welches sich durch sein Programm schon im voraus zu einem sensationellen Ereignisse gestaltete. Hans von Bülow stand nicht nur als vortragender, sondern auch als schaffender Künstler auf dem Programme; außerdem war eine Symphonie in Es-dur von unserem heimischen genialen Tondichter Anton Bruckner als erste Aufführung angekündigt. Grund genug, daß das Publicum in dichten Schaaren am 20. d. M. dem Musikvereinssaale zuströmte.
     [... Beethoven, Bülow ...]
     Nun kam Bruckner zu Worte. Als das Horn mit einem wunderbar sehnsüchtigen Motiv den ersten Satz anstimmte und die Holzbläser, dem Zauberrufe antwortende, hinzutraten, während geheimnißvoll die Bässe unter tremolirenden Geigen und Bratschen nach abwärts schreiten, da wußte man sofort, daß man es mit einem wirklichen genial angelegten Kunstwerke zu thun habe. [... Besprechung aller Sätze, Finale "Weltgericht" ...] Das Publicum, und zwar das ganze, nahm die Symphonie mit ungetheiltem Enthusiasmus auf, der sich in stürmischem, jubelndem Beifalle äußerte. Vier bis fünf Mal mußte Bruckner nach jedem Satze erscheinen. Mit einem Worte: Bruckner schlug glänzend durch, er gehört seit dem verflossenen Sonntag zu unseren bedeutenden Tonschöpfern und ist unser künstlerisches Gemeingut geworden.
     Dieses Werk wurde von den Philharmonikern seinerzeit bei der Novitätenprobe verworfen; "höchstens" der erste Satz, meinten die superklugen Wortführer des Orchesters, könne im Nothfalle gespielt werden, alles Andere sei verrückt. Wäre es nicht an der Zeit, daß das Orchester nach dem letzten eclatanten Erfolge Bruckners in sich ginge und künftighin Novitäten principiell anders wie bisher prüfe? Die Bruckner'sche Symphonie war von Hans Richter meisterhaft einstudirt und dirigirt. [... über Bülows Liszt-Abend am 21.2.1881, fast 3 Stunden ...] Und so ist denn endlich einmal Liszt in Wien als schöpferischer Geist zu wirklichen, unverkümmerten Ehren gelangt." (*).

Kalbeck in der Wiener Allgemeinen Zeitung Nr. 354 auf S. 2:
          "Concerte.
(Orchester=Concert. - Bruckner's Symphonie. - Hanns v. Bülow's Liszt=Abend.)
     Zwei schwere und gewichtige musiklaische Tagewerke liegen hunter uns, Tage voll schmerzlichen Genusses und qualvoller Freude, die wir froh sind erlebt zu haben und doch nicht wieder erleben möchten. [... über Bülow ...]
     Anton Bruckner's neue Symphonie in Es-dur, die unmittelbar nachher zur ersten Aufführung kam, ist das Werk eines Kindes mit Riesenkräften. Ein junger Herkules, der in der Wiege zwei Schlangen erdrosselt, würde vielleicht in ähnlicher Weise Musik machen. Leider [... über Bruckner als Person, über die 4. Symphonie. die Reaktion des Publikums ... Musikdrama ohne Text, 1. Satz der bedeutendste ...] Mit der Aufführung der Symphonie, welche eine ganze Stunde dauerte und Alles fast unausgesetzt in Schach und Athem hielt, haben die "Philharmoniker" unter Hanns Richter's Leitung geradezu Wunder gethan; ein großer Theil des außerordentlichen Erfolges, den der nach jedem Satze mehreremale hervorgerufene Componist davongetragen, ist ihnen zuzuschreiben.
      [... Bülows Liszt-Abend - Lob dem Pianisten, Vorbehalte zum Komponisten ... über einen Brahms-Abend mit Bülow in privatem Kreise ...]
     zum Entzücken schön. Wenn ich die Wahl gehabt hätte zwischen den letzten beiden Abenden, so wüßte ich, für welchen ich mich entschieden hätte.
          Max Kalbeck." (**).

(***) Eduard Moucka in der »Zeitschrift für die Musikalische Welt« Nr. 19, S. 190f:
   »Wer jenen Bülow, welcher sich im Beethoven=Sonaten=Abend anläugbar einseitig eingeführt, noch frisch im Gedächtniß hat, kann sich denselben unmöglich als vollendeten Interpreten eines Beethoven'schen Clavier=Concertes [...] vorstellen. [... Positives über Bülows Leistung und die anderen Nummern des Programms. ... das Orchester] beschloß es mit Anton Bruckner's neuer Es-dur-Symphonie. Für ihre Abonnements=Concerte hatten sie das hochinteressante Werk, vielleicht mit allzu ängstlicher Rücksicht auf gewisse Kritiker, welche dem in Wagner's Fußtapfen einhergehenden Componisten abhold sind, abgelehnt [...] Bruckner überragt an Reichthum seiner musikalischen Fantasie vielleicht sämmtliche Zeitgenossen. [... über die Überfülle der Gedanken ... Beziehung des 2. Satzes zu Beethovens Eroica und des opernhaften Finales zu Mozarts »Don Giovanni« ...] Die Es-dur=Symphonie ist glänzend und wirksam instrumentirt. Vielleicht entbehren einzelne Effecte der Folgerichtigkeit, sowie mitunter die thematische Entwicklung. Das Ganze überzeugt gleichwohl. Bruckner wurde schon nach dem 1. Satz hervorgerufen und erlebte nach dem Schluß des Werkes einen seltenen Triumph. Möge ihm auch die Anerkennung weiterer Kreise zu Theil werden, die er mit vollem Rechte verdient. [... über weitere Konzerte ... Signatur auf S. 192:] Ed. Moucka.« (***).

(°) Eine mit »L. E.« signierte Besprechung erscheint auch in der »Tribüne« Nr. 53 auf S. 7:
    »[Orchester=Concert.] Im großen Musikvereins=Saale fand Sonntag Mittags das von Hanns Richter arrangirte und von ihm geleitete Wohlthätigkeits=Concert der Philharmoniker statt, das durch die gefällige Mitwirkung Dr. Hanns von Bülow's wesentliches und erhöhtes Interesse gewann. [... über Bülow ... Richter spielte Viola, Josef Sulzer die Solostellen ... »Des Sängers Fluch« nur ein Achtungserfolg ...] Wie ganz anders gestaltete sich dagegen der geradezu berauschende Erfolg, den diesmal Herr Anton Bruckner mit seiner Es-dur-Symphonie errang. Das letzte Opus des allzu bescheidenen Componisten schlug mit solch' entschiedenem und wohlverdientem Succes durch, daß man fast anzunehmen berechtigt sein könnte, die norddeutsche Componisten=Compagnie, die sich letzterer Zeit nur allzubreit bei uns machte, hätte auch durch ein Meisterwerk eines "Einheimischen" einen so empfindlichen Schlag erlitten, daß sie wohl lange, sehr lange Zeit benöthigen dürfte, um sich von demselben, wenn möglicher Weise, vollständig zu erholen. Nichtsdestoweniger sei Herrn Bruckner der Vorwurf nicht erspart, daß die Symphonie an bedeutenden, den Erfolg um Vieles schmälernden Längen leidet; so die dritte Wiederholung im Andante, die ganz gut wegbleiben könnte, ebenso das Jagd-Scherzo, das mit seinen oft gebrachten Fanfaren geradezu ermüdend wirkt. Frisch und wirkungsvoll bleibt nur der erste Satz, der sowohl durch seine thematische Erfindung, als auch durch seine glanzvolle Instrumentation als der gelungenste zu bezeichnen ist. Der vierte und letzte ist allzugroß und für ein Finale zu pathetisch gerathen. L. E.« (°).


Zitierhinweis:

Franz Scheder, Anton Bruckner Chronologie Datenbank, Eintrag Nr.: 188102235, URL: www.bruckner-online.at/ABCD-188102235
letzte Änderung: Mai 13, 2024, 7:07